Der Weg des Feuers
den Umhang von Osiris berührt hast, kannst du dich dieser Prüfung auf keinen Fall entziehen. Gewinnst du, wirst du gereinigt, und dein Geist öffnet sich neuen Wirklichkeiten. Verlierst du aber, musst du sterben.«
Die Tür der Kapelle schloss sich hinter ihm.
Das rechteckige Spielbrett war in dreißig Felder unterteilt, die in drei parallelen Reihen angeordnet waren. Ein Spieler hatte zwölf spindelförmige Spielsteine, sein Gegner zwölf konische mit rundem Kopf. Die Figuren durften entsprechend der Zahl vorrücken, die mit nummerierten Stäbchen geworfen wurde. Bestimmte Felder waren günstig, andere wiederum ungünstig. Die Spieler mussten zahlreichen Fallen aus dem Weg gehen, ehe einer von ihnen in das Nun, das Urmeer, gelangte, in dem er wiederbelebt wurde.
Isis traf auf Feld fünfzehn »das Haus der Wiedergeburt«, auf dem die Hieroglyphe für Leben, umrahmt von zwei Zeptern, abgebildet war – der »blühenden Macht«.
Die Stäbchen fielen wieder wie von Geisterhand wild durcheinander, und fünf gegnerische Figuren rückten gemeinsam vor, um der Priesterin den Weg zu versperren. Ihr zweiter Wurf misslang – Feld siebenundzwanzig, eine ausgedehnte Wasserfläche, zum Ertrinken gedacht! Isis musste zurück, ihre Stellung war schwach.
Als sich das Unsichtbare erneut zeigte, glaubte sich die junge Frau verloren.
Doch was hatte sie schon zu befürchten? Versuchte sie nicht, ein aufrechtes Leben im Dienste von Osiris zu führen? Wenn die Stunde kam, in der sie vor das höchste Gericht treten sollte, würde ihr Herz für sie sprechen.
Isis warf die Stäbchen.
Sechsundzwanzig, das Feld des »vollkommenen Hauses«. Der bestmögliche Wurf, der einem den Zugang zum Himmel gestattete.
Die Felder verschwanden, der Durchgang war geöffnet. Der Kahle machte die Tür auf und reichte der Priesterin einen Goldbarren.
»Begleite mich zu der Akazie.«
Der Ritualist ging um den Baum herum.
»Nimm dieses Metall und lege es auf einen Ast, Isis.«
Der Goldbarren verströmte eine angenehme Wärme. Gestärkt von neuem Saft, ergrünte der ganze Ast.
»Das ist ja das heilende Gold!«, sagte Isis erstaunt. »Woher kommt es?«
»Iker hat es in Nubien entdeckt. Aber das ist nur eine erste Probe. Wir brauchen viel mehr davon und in besserer Güte, ehe eine vollkommene Heilung der Akazie vorstellbar ist. Immerhin machen wir Fortschritte.«
Iker… Der Königliche Sohn war also an der Erneuerung des Lebensbaums beteiligt!
Nachdem er kein gewöhnlicher Mann war, schien es doch wenigstens möglich, dass sein Schicksal mit dem einer Priesterin von Abydos verknüpft war.
Mirgissa, Dabnarti, Shalfak, Uronarti, Semna und Kumma –
nicht weniger als sechs Festungen sollten in Zukunft von Norden nach Süden das Tor zum steinernen Bauch verriegeln. Täglich besichtigte Sesostris in Begleitung von Iker und General Nesmontu die Baustellen, die unter Sehoteps Leitung standen. Der Anblick der rasch wachsenden Mauern ließ die Bauleute Müdigkeit und harte Anstrengung vergessen. Die Handwerker bekamen gutes Essen sowie Wasser und Bier, so viel sie wollten; außerdem genossen sie die Aufmerksamkeit von Medes und Gergu, die zur Zusammenarbeit gezwungen und sich bewusst waren, an der Entstehung von Bauwerken beteiligt zu sein, die für den Schutz dieses Gebiets unerlässlich waren.
Mirgissa, auch der-uetiu oder iken genannt, ließ keinen unbeeindruckt. Auf einem Felsvorsprung etwa zwanzig Meter über dem Nil errichtet, beanspruchte die Festung, »die die Oasenbewohner aufhält«, ein Rechteck von achteinhalb Hektar im Westen des südlichen Endes des zweiten Katarakts. Dank ihrer acht Meter dicken und zehn Meter hohen Mauern konnte Mirgissa von einer kleinen Einheit aus fünfunddreißig Bogenschützen und ebenso vielen Lanzenwerfern verteidigt werden.
Hinter den Mauern lag ein gepflasterter Säulenhof, es gab Unterkünfte, Schreibzimmer, Lager, Speicher, eine Waffenmeisterei, eine Schmiede und einen Tempel. Fachleute flickten und stellten Lanzen, Schwerter, Dolche, Wurfspieße, Bögen, Pfeile und Brustschilde her.
Diese befestigte Anlage wurde durch eine offene Stadt ergänzt, die gleich daneben lag und ähnliche Ausmaße hatte. Dort hatte man Häuser aus Lehm, Backöfen für Brot sowie Werkstätten gebaut. Die Ägypter bewässerten die Wüste, pflanzten Bäume und legten Gärten an – sehr zum Erstaunen der einheimischen Stämme. Nach und nach unterwarfen sie sich alle freiwillig dem Pharao.
Gua und der Pharmazeut Renseneb
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