Der Weg des Feuers
»Jetzt wird der Prophet die tobende Löwin auf uns loslassen. Gua und Renseneb, bringt alles Notwendige.«
Die beiden Mediziner hatten Krüge mit rotem Bier und Tollgerste vorbereitet.
»Die Löwin liebt Menschenblut«, erklärte der Pharao. »Wir wollen versuchen, sie mit dem Getränk zu täuschen und betrunken zu machen. Aber nur die Königin der Türkise kann sie besänftigen.«
Die Insel Saï war etwa zwölf Kilometer lang und lag auf halbem Weg zwischen dem zweiten und dem dritten Katarakt. An ihrer Nordspitze hatten sich nubische Stämme versammelt, die dem Propheten gehorchten und bereit waren, sich mit den Ägyptern zu schlagen.
Als das Schiff des Pharaos näher kam, ließ die schöne Bina ein schreckliches Gebrüll hören.
Die schwarzen Krieger wichen zurück, um der gewaltigen Löwin so viel Platz wie möglich zu lassen. Kein Pfeil und keine Lanze konnte sie jetzt noch aufhalten.
Vom Schiff aus schleuderten Matrosen ein Dutzend Krüge auf die Felsen am Ufer, wo sie zerbrachen. Der Duft der Flüssigkeit lockte die Raubkatze an, die das Bier gierig aufleckte.
Als sie fertig war, schnurrte sie wohlig, rollte sich zufrieden zusammen und schlief ein.
Jetzt ging Sesostris an Land.
Ein groß gewachsener Kuschite wollte den Pharao mit seinem Wurfspieß töten. Der König streckte nur seinen Arm gegen den Angreifer aus, der daraufhin von einer unbekannten Macht getroffen den Kopf verdrehte und zu Boden ging.
»Ein Zauberer!«, rief einer der Stammesführer entsetzt.
»Dieser König ist ein Zauberer!«
Dann hieß es nur noch: Rette sich, wer kann!
Und Nesmontus Soldaten, die sich auf einen Kampf Mann gegen Mann eingestellt hatten, mussten nur Flüchtige besiegen.
Ein gewaltig großer Falke kreiste über dem südlichen Ende der Insel Saï, wo sich der Prophet aufhielt. Der wollte den Kampf aus der Ferne beobachten und musste nun mit ansehen, wie seine Gefolgsleute feige flohen.
Der Raubvogel schoss so plötzlich auf ihn herunter, dass dem Propheten keine Zeit zu handeln blieb. Der Falke packte die Königin der Türkise und flog mit dem Stein wieder der Sonne entgegen.
»Was sollen wir jetzt machen, Herr?«, fragte Shab der Krumme entsetzt.
»Wir bringen uns in Sicherheit. Diese Nubier sind unfähig.«
»Und was ist mit Bina?«
»Wir versuchen, sie mitzunehmen.«
Als sich Sesostris der Löwin näherte, zeigte sie ihm ihre gefährlichen Zähne.
»Sei ganz friedlich, du, die du die Macht hast, die ganze Menschheit auszurotten. Möge sich deine Gewalttätigkeit in Sanftmut verwandeln.«
Auf die Gefahr hin, verschlungen zu werden, legte der Pharao der Raubkatze die Königin der Türkise auf die Stirn, die ihm der Falke gebracht hatte.
»Gib deine Macht an die Kinder des Lichts weiter, damit sie Unglück und Verfall besiegen.«
In einem grell grünblauen Lichtschein verwandelte sich die Löwin in eine schlanke Katze mit schwarzem Fell und goldgelben Augen.
Wenige Schritte weiter lag Binas Körper in einem Meer aus Blut.
Die ägyptischen Soldaten waren so von diesen Vorgängen gefesselt, dass sie Shab den Krummen nicht bemerkten. Er hatte sich hinter einem Felsen versteckt und spannte jetzt seinen Bogen. Iker hatte ihm den Rücken zugewandt und gab ein leichtes Ziel ab.
Trotz der Müdigkeit und des Siegestaumels blieb Sekari wachsam und ahnte irgendwie den Weg des Pfeils. Schnell und geschickt wie eine Gazelle sprang er zu Iker, packte ihn und riss ihn zu Boden.
Zu spät.
Der Pfeil bohrte sich ins linke Schulterblatt des Königlichen Sohnes.
»Es hätte nicht viel gefehlt, und du wärst jetzt tot«, stellte Gua nüchtern fest. »So aber bleibt dir nur eine kleine Narbe.«
Nachdem er den Verletzten mit einem betäubenden Trank aus Mohn versorgt und die Pfeilspitze vorsichtig mit einem Skalpell mit runder Klinge aus dem Fleisch entfernt hatte, nähte Gua die Wunde mit klebrigem Garn zu und legte einen Verband aus Honig und Öl von wildem Safran an.
»Jetzt verdanke ich dir schon wieder mein Leben«, sagte Iker zu Sekari.
»Ich habe keine Lust zu rechnen! Dein Angreifer hat sich wohl leider mit einer Barke aus dem Staub gemacht. Nesmontu hat die ganze Insel durchkämmen lassen. Hier gibt es keinen einzigen Aufständischen mehr, die Insel ist sicher. Wir fangen noch heute mit dem Bau einer Festung an.«
»Mir kam es so vor, als hätte ich neben der Löwin den Leichnam einer Frau gesehen. Wenn ich mich nicht irre, war das Bina.«
»Auch sie ist verschwunden.«
»Und der Prophet?«
»Keine
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