Der Weg des Feuers
der Lebenden. Du begleitest mich, Sehotep. Und du sammelst deine Truppen auf Elephantine, Nesmontu.«
»Soll das heißen, wir lassen die Provinzen im Stich?«, fragte der General.
»Ich übernehme die Verantwortung. Du, Sobek, kehrst nach Memphis zurück.«
Der oberste Sicherheitsbeamte sprang auf.
»Majestät, Euer Schutz…«
»Meine Leibwache wird mich beschützen. Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen: Sollte Nubien nur als Lockvogel dienen, bleibt Memphis das Hauptangriffsziel. Deshalb musst du deine ganze Aufmerksamkeit auf die Hauptstadt richten. Sollte aber tatsächlich im Hohen Süden die
Entscheidungsschlacht stattfinden, sind die Leute des Propheten in Memphis vielleicht weniger vorsichtig. Beim kleinsten Fehler, den sie machen, kannst du dann ihre Spur verfolgen.«
Wie immer waren die Worte des Pharaos unwiderlegbar. Trotzdem verspürte Sobek bei dem Gedanken, so weit von Sesostris entfernt zu sein, Sorge und Trauer.
»Iker, dem Königlichen Sohn, befiehlst du, mich in Edfu zu treffen«, fügte der Herrscher noch hinzu.
»Iker – ganz in Eurer Nähe… Majestät, ich glaube…«
»Ich weiß, was du glaubst, Sobek. Du bist noch immer auf dem Irrweg. Im Laufe unserer Unternehmung in Nubien wird Iker Taten vollbringen, die dich hoffentlich endlich von seiner Treue zu mir überzeugen.«
Über den Tempel von Edfu herrschte seit Menschengedenken der heilige Falke, die Verkörperung des Gottes Horus, dem Beschützer des Pharaonentums. Seine Schwingen waren so groß wie die Erde, mit seinem scharfen Blick erspähte er das Geheimnis der Sonne. Wenn er sich auf die Schulter des Königs setzte, hauchte er ihm eine Vision aus dem Jenseits ein. Ein Priester empfing Isis an der Anlegestelle und brachte sie zu einer Schmiede, nicht weit weg vom Heiligtum. In Gegenwart des Pharaos formten dort zwei Handwerker eine Statue des Gottes Ptah mit einem blauen Kopftuch. Die Gestalt war in ein weißes Leichentuch gehüllt, aus dem nur die Arme herausschauten, in denen der Gott verschiedene Zepter hielt, die Sinnbilder für Leben, Macht und Beständigkeit.
»Sieh das Werk von Ptah, dem Meister der Handwerker, das mit dem von Sokar, dem Herrn über die unterirdischen Räume, verbunden ist. Die Schöpfung Ptahs entsteht über den Gedanken und das Wort. Er gibt den Gottheiten, den Menschen und den Tieren einen Namen. Die Enneaden nehmen in seinen Zähnen und seinen Lippen, die wirklich werden lassen, was sein Herz fühlt, Gestalt an, und werden durch seine Zunge zu Worten. Seine Füße berühren den Boden, sein Kopf den fernen Himmel. Er macht das vollendete Werk erhaben, indem er seine eigene Macht gebraucht. Der Name Sokar kommt von seker, was so viel heißt wie ›das Eisen schmieden‹. Es bezieht sich aber auch auf die Fortbewegung des auferstandenen Körpers aus der Unterwelt. Begehst du das Ritual der Mundreinigung, seker, öffnest du dein Bewusstsein für Sokar. Und wenn Osiris zu dem in die tiefsten Tiefen der Schattenwelt Eingeweihten spricht, verwendet er den gleichen Ausdruck, der dann aber ›komm zu mir‹ bedeutet. Glaube und Frömmigkeit allein führen dich nicht zu Osiris. Die besten Führer sind das Wissen und die Verwandlung. Am Vorabend des Kampfes gegen die nubischen Zauberer bitte ich Ptah, meine Lanze, und Sokar, mein Schwert zu schmieden. Sieh, wie sie aus dem Feuer kommen.«
Der erste Schmied schuf eine Lanze, die so lang und schwer war, dass außer Sesostris kein Mensch mit ihr hätte umgehen können. Der zweite Schmied erschuf ein Schwert, das so funkelte, dass sich die Priesterin die Hand vor die Augen halten musste.
Der Pharao griff nach den Waffen, die noch glühend heiß
waren.
»Der Krieg gegen das Böse erlaubt keine Feigheit und keine Ausflüchte. Wir brechen jetzt nach Elephantine auf.«
27
Der Prophet ernährte sich allein von der gewaltigen Macht des steinernen Bauches. Er wurde zu jedem einzelnen Strudel, jedem wütenden Ansturm der Stromschnellen gegen den Fels. Bina saß schweigend zu seinen Füßen und betrachtete das beeindruckende Schauspiel mit leerem Blick.
Wenn der Wind drehte, konnte man manchmal Fetzen von dem Wortgefecht aufschnappen, das sich die nubischen Zauberer lieferten.
Endlich, nach stundenlangem Palaver, erschien der Greis mit dem weißen Haar wieder.
»Wir haben uns nicht dafür entschieden, dir zu helfen, sondern dich von unserem Grund und Boden zu verjagen«, sagte er zu dem Propheten, der darüber nicht erstaunt schien.
»Ihr wart euch aber
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