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Der Weg des Unsterblichen

Der Weg des Unsterblichen

Titel: Der Weg des Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lueck
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ausgerichtet, schneller zu werden, mich lautloser zu bewegen und vor allem mit meiner neuen, gefährlichen Waffe umzugehen. Und endlich war es mir gelungen, Noés Vertrauen zu gewinnen.
    Ob sie mich für meine Tat hassen würde? Ich schüttelte den plötzlich aufkeimenden Gedanken ab. Daran durfte ich jetzt nicht denken, das war vollkommen unwichtig. Trotz aller Bedenken musste ich es tun, ich musste Azriels Leben auslöschen. Für mein eigenes, geistiges Wohl.
    Die Sonne war schon länger untergegangen, als ich auf die von den Sternen beleuchtete Lichtung im Wald trat. Es war überraschendschnell kalt geworden in den letzten Tagen, und ich hatte die Hände tief in die Taschen meiner schwarzen Uniformjacke vergraben.
    Fast war ich erschrocken darüber, dass ich am Treffpunkt nur Azriel antraf, der wie immer lässig auf der Felskante saß, die dunkle Kapuze über den Kopf gezogen. Die Ärmel des schwarzen Pullovers hatte er bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt, scheinbar machte ihm die Kälte nicht das Geringste aus.
    In einigem Abstand von ihm blieb ich stehen, und der Dämon drehte sich zu mir um. Seine gelbgoldenen Augen leuchteten im Mondlicht wie die einer Katze. Auf seinen Lippen lag, welch Überraschung, der sarkastische Zug, den sie immer zeigten. Aber er sagte nicht mehr als: »Noé wird bald hier sein.«
    Überrascht zog ich die Augenbrauen nach oben und versuchte, den Überlegenen zu spielen. »Was, kein dummer Spruch, keine Beleidigung, kein Wortspiel in dem das Wort Geflügel vorkommt?«
    Er drehte sich wieder in Richtung des Abhangs und lachte leise. »Ich habe Noéversprochen, das zumindest heute zu unterlassen. Sie hat mir angedroht, dass ich ansonsten keine Cheeseburger mehr bekomme. Aber nächstes Mal kannst du wieder fest damit rechnen, keine Sorge.«
    Cheeseburger? Bevor ich irgendetwas erwidern konnte, hörte ich auch schon Schritte hinter mir und wenige Sekunden später trat Noé auf die Lichtung, etwas außer Atem und einer schwingenden Plastiktüte in der Hand. Wie damals, als ich sie nach Hause begleitet hatte, war ihr halbes Gesicht hinter einem dicken, bunten Schal versteckt, und durch ihren leicht geöffneten Mund stiegen weiße Wölkchen ihres Atems in die kalte Luft. »Tut mir leid, dass ich so spät komme, Jungs. Aber meine Mutter hat etwas länger gebraucht mit dem Essen.«
    »Quatsch nicht rum, her damit!« Azriel reckte die Arme in die Luft, und Noé lachte.
    Wieder durchfuhr mich der Gedanke, dass sie mich hassen könnte und wieder zwang ich mich, nicht weiter darüber nachzudenken.
    »Setzen wir uns doch.« Noé lächelte mich an und nahm dann ebenfalls auf der KlippenkantePlatz. Ich setzte mich neben sie, während sie die Hand in die Tüte steckte und etwas herausholte. »Ich denke nicht, dass du das kennst, also eine kurze Erklärung.« Sie hielt mir das duftende Ding aus Brötchen, Fleisch und Käse unter die Nase. »Das ist ein Cheeseburger. Probier’mal!«
    Ich nahm das angebotene Essen und biss davon ab, während Azriel sich ebenfalls eines aus der Tüte klaute. »Hey, hey, langsam!« Aber Noé schaffte es nicht mehr, ihm den Burger aus der Hand zu reißen, also begnügte sie sich mit einem missbilligenden Schnauben. »Denk daran, was ich dir gesagt habe.«
    »Jaja, ich werde mich an die Auflagen halten, Officer.«, grinste Azriel und versenkte die spitzen Zähne in seinem Essen.
    Noé schüttelte gespielt missbilligend den Kopf, bevor sie mich anlächelte. »Ich hoffe, es schmeckt dir.«
    Ich nickte, und sie sah in den Himmel hinauf und ließ die Beine sanft baumeln. Aus irgendeinem Grund wirkte sie immer noch genau so glücklich wie heute Vormittag. »Ich bin wirklich froh, dass ich mit euch beiden hier bin.«
    Auch mir rutschte ungewollt ein Lächeln auf die Lippen.
    »Ich bin nur wegen der Cheeseburger hier.«, brummte Azriel, aber ich wusste, dass das nicht stimmte. Er hob den Kopf. »Wie kommt es eigentlich, dass dich deine Mutter so spät noch draußen herumlaufen lässt? Hat sie die Leine länger gemacht?«
    »Sehr witzig.« Noé grinste, scheinbar konnten nicht einmal die dummen Sprüche des Dämons ihre gute Laune stören. »Offiziell bin ich heute bei Monja, damit wir für eine Klausur lernen können.«
    Eine Weile saßen wir still beieinander, aßen Noés Burger und sahen schweigend in den Himmel hinauf. Fast breitete sich ein wohliges Gefühl in meinem Bauch aus, ohne dass ich es eigentlich wollte. Warum empfand ich diese Situation als so erschreckend angenehm?

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