Der Weg des Unsterblichen
Immerhin saß ich hier gemütlich neben einer Hochverräterin und einem widerlichen Dämon. Wann hatte ich aufgehört, darüber nachzudenken?
Noé seufzte, und ich warf einen Blick zu ihr hinüber. Dabei kreuzten sich kurz die Blicke von Azriel und mir, und ich erschrak beinahe darüber, wie wenig Feindseligkeit noch darin lag. Er wirkte eher ruhig, müde, entspannt.
»Ich wünschte mein Papa wäre heute hier.« Noé lächelte die Sterne an, die ihre Augen wie zwei der ihrigen glänzen ließen. »Gott, wie stolz er auf mich sein würde, dass ich hier mit einem Unsterblichen UND einem Dämon sitze, ohne dass sich irgendjemand an die Gurgel geht.«
Azriel brummte. »Wirst du jetzt emotional?«
»Darf ich das nicht?« Sie warf ihm ein verschmitztes Lächeln zu. »Momentan wendet sich für mich schließlich alles zum Guten. In letzter Zeit gab es keine Verhaftungen mehr, die Kontrollen durch die Unsterblichen sind nur halb so schlimm wie ich befürchtet hatte – verzeih mir, Nero – und ich habe euch beide hier an meiner Seite sitzen. Ich darf zufrieden sein.«
»Meinetwegen.«, knurrte Azriel, aber ich konnte ein Lächeln in seinen Mundwinkeln sehen, als er in den nächsten Burger biss. Ausirgendeinem Grund wurde mir heiß und kalt zugleich.
Auf einmal vernahm ich ein nerviges Dudeln, das eindeutig aus Noés Tasche kam. Sie stöhnte zutiefst genervt auf. »Nein, bitte nicht jetzt, das ist doch unfair!« Sie warf einen Blick auf ihr Handy. »Meine Mutter. Gott, was will sie denn gerade jetzt? Entschuldigt mich bitte für eine Sekunde.« Sie sprang auf und ging ein paar Meter von uns weg, um das Gespräch anzunehmen, und ließ mich mit Azriel allein. Sofort spannten sich sämtliche Muskeln in meinem Körper an.
Azriel lachte unterdrückt. »Entspann dich. Ich bin heute nicht für Streitereien aufgelegt.«
Etwas verärgert sah ich ihn an. »Glaubst du etwa, dass ich Angst vor dir habe?«
»Merkwürdigerweise hast du die offensichtlich nicht, sonst hättest du dich von ihr ferngehalten, wie ich es dir gesagt habe.« Seinen Blick konnte ich nicht deuten, aber es lag weder Hass noch Wut darin. Es war ein anderes Gefühl, das ich nicht zuordnen konnte. »Du magst Noé also.«
Ich spürte, wie sich mein Magen zusammenzog. War das gerade ein Vorwurf gewesen? »Interessiert dich das?«
»Um ehrlich zu sein, schon.«
Ich kam nicht mehr dazu, etwas zu entgegnen, denn schon trat Noé wieder zwischen uns. Der glückliche Ausdruck war komplett aus ihrem Gesicht verschwunden, und sie sah auf einmal leichenblass aus.
»Ist etwas passiert?«, wollte Azriel wissen.
Noé zuckte nur mit den Schultern, aber die Bewegung sah schwach aus. »Scheinbar, keine Ahnung. Meine Mutter klang total aufgeregt und hysterisch, ich soll sofort nach Hause kommen. Vielleicht hat sie herausgefunden, dass ich sie wegen heute angelogen habe.« Ihr Blick traf mich und ich konnte unterdrückte Angst darin lesen. »Es tut mir so leid, dass wir deinen letzten Abend nicht gebührend feiern konnten. Wir holen die Party einfach nach, wenn du wieder da bist, ok?«
»Schon gut, Noé.«
»Ok, Jungs, dann bis später. Versprecht mir, dass ihr euch nicht die Köpfe einschlagt, wennich weg bin!« Sie drehte sich um und trottete mit hängenden Schultern in den Wald hinein.
Azriels ernster Blick folgte ihr, und ich sah ihn an. »Glaubst du, dass etwas passiert ist?«
»Möglich. Wir werden es wohl noch früh genug erfahren.« Er zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder der Plastiktüte zu, die immer noch zwischen uns lag. Mich traf ein misstrauischer, lauernder Blick.
»Schon gut, du kannst sie haben.«, wehrte ich ab.
»Echt? Super.« Er grinste mich an. »Vielleicht bist du doch nicht so ein schlechter Kerl.«
Ich starrte ihn ungläubig an. »Weil ich dir mein Essen überlasse?«
»Ich bin ein Freund der kleinen Dinge.«, lachte er und aß munter weiter.
Übelkeit stieg in mir auf und drohte, mich zu übermannen. Schnell fuhr ich in die Höhe. »Dann werde ich jetzt auch gehen.«
Azriel hob grüßend die Hand, ohne mich anzusehen. »Mach’s gut, Geflügeljunge.«
Langsam ging ich ein paar Schritte in dieselbe Richtung wie Noé, bevor ich mich noch einmalumdrehte. Azriel saß seelenruhig auf der Klippe und aß, den Rücken mir zugewandt. Über ihm glänzten die Sterne, als würden sie mich anfeuern wollen. Es war der perfekte Moment, eine solche Gelegenheit würde bestimmt so bald nicht wieder kommen. Lautlos griff ich nach meiner Waffe,
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