Der Weg des Unsterblichen
Herz.
21
Die schwere Tür zum Kellergewölbe gab ein unerträglich lautes Quietschgeräusch von sich, als ich sie aufschwingen ließ und eintrat. Links und rechts von mir waren in altmodischer Manier kleine Höhlen in die schwarzen Steinwände eingelassen. Gitterstäbe vom Boden bis zur Decke trennten sie vom breiten Zwischengang ab und machten sie zu kleinen, separaten Gefängnissen.
Trotz des Quietschens schien kaum jemand der Gefangenen mein Eintreten zu bemerken. Die meisten von ihnen lagen zusammen gerollt auf den provisorisch aussehenden Feldbetten. Nur einige saßen oder standen an die Gitterstäbe gelehnt und sahen kurz auf, aber es zeigte sich kein Hoffnungsschimmer in ihren Augen und schnell wandten sie ihre Blicke wieder ab. Ich wusste, warum sie das taten. Sie sahen mich als einen Unsterblichen, als einen von denen, die sie hier festhielten. Das erste Mal in meinem Lebenschämte ich mich für das, was ich war. Für das, was ich den Menschen gegenüber verkörperte.
Meine Füße trugen mich durch den lang gezogenen Gang, ohne dass mein Kopf dabei irgendwelche Arbeit leisten musste. Das war gut so, denn meine Gedanken waren mit tausend anderen Dingen beschäftigt. Wie, verdammt nochmal, sollte ich ihr das beibringen? Wie sollte ich ihr sagen, dass Azriel tot war? Wo ich es doch selbst nicht glauben, nicht verstehen konnte? Unmöglich. Das konnte ich einfach nicht.
»N-N-Nero?«
Ihre Stimme ließ mich zusammenzucken und mein Blick flog zur Seite. Noélia stand leicht geduckt in einer der Zellen, ihre Hand krampfte sich um eine der Gitterstangen, und die schönen, bunten Augen musterten mich ungläubig. »W-was machst du hier?«
Ich konnte noch immer nicht sprechen, also griff ich mit zitternden Händen nach den Schlüsseln, die ich aus Conatars kalten Fingern gerissen hatte, um ihre Tür zu öffnen und aufzustoßen. Noé trat einen Schritt zurück, umden Gittern auszuweichen und sah mich dann wieder an. Diesmal leuchteten ihre Augen. »Du bist wirklich gekommen, um mich zu retten? Oh Gott, Nero, ich habe mich nicht in dir getäuscht, ich wusste, dass du einer von den Guten bist!«
Sie lächelte mich glücklich an und durch mein Herz fuhr ein schmerzhafter Stich. Ich presste die Zähne aufeinander und schlug mit voller Kraft gegen das Gitter, sodass Noé und die anderen Insassen zusammenfuhren. Verdammt. Warum tat mir das so weh? Vor drei Tagen hatte ich noch den festen Plan gehabt, ihn eigenhändig umzubringen. Aber das schien unendliche Zeiten her zu sein. Das war gewesen, bevor ich ihn richtig kennengelernt hatte. Das war gewesen, bevor er mein Leben zweimal gerettet hatte, einmal unter Aufopferung seines eigenen.
»Nero?« Noé trat an mich heran und packte sanft meinen Arm. »Ist irgendetwas passiert? Was ist los mit dir?«
Ich sah sie an, und versuchte entschlossen zu wirken. »Wir müssen … hier schnell raus. Wenn die anderen Unsterblichen uns finden, sitzen wir verdammt schnell wieder hinter Gittern, undzwar beide. Wir müssen uns beeilen.« Selbst ich hörte, wie wenig überzeugend meine Stimme klang.
Noé hielt meinen Arm fest, und ich tat mein Bestes, um ihrem Blick auszuweichen. »Nero, bevor wir hier rausgehen, sagst du mir, was los ist!«
»Wir haben jetzt wirklich keine Zeit, um das auszudiskutieren!«, quälte sich der Satz aus meinem Mund, aber ich blieb dennoch stehen. Lieber hätte ich selbst einem anderen Unsterblichen den Kopf abgerissen, als das jetzt zu tun.
»Nero, bitte!« In ihren Augen stand die Angst geschrieben. Angst vor dem, was ich jetzt sagen würde.
»1225 Jahre.« Es war mehr ein Flüstern.
»Was?«
»Er ist 1225 Jahre alt geworden, das wolltest du doch wissen.« Meine Stimme krächzte fürchterlich, aber wenigstens hatte ich die Worte ausgesprochen.
Noés Gesichtsausdruck wechselte von Unverständnis zu purem Entsetzen. Ihre Händeglitten von meinem Arm ab und wanderten zu ihrem Mund. »W-Was redest du da?!« Die Stimme war nur noch ein ungläubiges Hauchen, obwohl sie den Sinn meiner Worte verstanden hatte.
Aus Angst, dass sie direkt vor meinen Augen zusammenbrechen könnte, hielt ich sie an den Schultern fest. »Noé, wir müssen später darüber reden. Bitte, wir müssen hier erst einmal verschwinden. Ich erkläre dir alles in Ruhe, bitte…«
Aber sie bewegte sich keinen Millimeter und starrte mich weiterhin mit großen Augen an. »Sag es!« Die Worte zitterten voller Angst. »I-Ist Azriel tot? Sag es! «
Ich biss mir auf die Unterlippe, bevor ich
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