Der Weg des Unsterblichen
nach oben, um das Dach in weiter Ferne erspähen zu können, bevor er mich mit gerümpfter Nase ansah. »Keine Wachen, ernsthaft? Es ist vollkommen unbewacht?«
»Wachen sind an dieser Stelle unnötig, denn normalerweise kommt niemand Unbefugtes hier rein.«, antwortete ich ihm ernst. »Die ersten Wachen sind im Gang hinter der Tür anzutreffen. Azriel, bitte denk an unseren Plan.«
Er winkte ab. »Schon klar, ich mach mich unsichtbar.«
»Das hier ist ernst, Azriel.«, brummte ich seinem sarkastischen Grinsen entgegen. »Du musst mir versprechen, dass du nicht auftauchst, bevor ich dich rufe. Egal, was passiert, hörst du? Ich weiß, dass es für dich wahrscheinlich schwer ist, mal auf jemand anderen zu hören, aber ich bitte dich ernsthaft darum. Ein falscher Schritt und unserer ganzer Plan geht schief.«
»Jaja.«
»Ernsthaft!«
»Schon gut, Nero.« Er lachte leise. »Ich vertraue dir, also wie wär’s, wenn du zur Abwechslung auch mal mir vertraust?« Und schon hatte er sich in Luft aufgelöst.
Er vertraute mir? Ein zufriedenes Gefühl breitete sich in mir aus. Ich würde sein Vertrauen nicht noch einmal missbrauchen. Schnell zog ich den Ärmel meines Shirts hoch, sodass man das Flügeltattoo sehen konnte. Dann drückte ich es für einen kurzen Moment an die kleine, gläserne Fläche neben der Klinke, von der ich wusste dass sie ein spezieller Sensor war, und schon gab das Schloss ein mehrfaches Klicken von sich.
Die Flügeltüren schwangen auf, und ich trat in den hellbeleuchteten Eingangsbereich. Vor mir lag eine große, geschwungene Treppe, die in den Wohnbereich und zu den Büros führte. Zu meiner Linken folgte ein Durchgang, der der einzige Zugang zu der großen Brücke war und auf der anderen Seite befand sich eine Treppe nach unten, zu den Kellergewölben. Alles im Inneren des Gebäudes wirkte pompös und riesengroß, und ich erinnerte mich daran, wiedieser Anblick mich als Kind immer beeindruckt hatte.
Als die Türen hinter mir wieder krachend ins Schloss fielen, sahen die Wachen, die mitten im Eingangsbereich standen, erst mich und dann sich gegenseitig an. Aus unerfindlichen Gründen wirkten sie geschockt und unheimlich nervös.
»Guten Morgen.«, grüßte ich höflich.
»Was machst du denn hier um diese Uhrzeit, Nero?«, fragte der Größere der beiden und wischte sich mit einer ungeschickten Bewegung mit der großen Hand durch die goldblonden Locken. Warum nur wirkte er, als würde er sich vor meiner Antwort fürchten?
»Mein Vater hat mich angewiesen, herzukommen.«, antwortete ich ihm ruhig, auch wenn mir das Herz schon bis zum Hals hochschlug. »Ich habe etwas zu erledigen und dafür muss ich in das Kellergewölbe runter.«
»Etwas zu erledigen? Und was?«
Ich warf ihm einen verächtlichen Blick zu. »Ich glaube nicht, dass dich meine Belangen oder die meines Vaters zu interessieren haben.«
»Tut mir leid, Nero, aber wir wurden angewiesen niemanden durchzulassen.«, antwortete der Große mir unsicher.
Ich verengte meine Augen zu Schlitzen. »Ich glaube kaum, dass das auch für mich gilt.«
»Es gilt besonders für dich.«
Als die Wache diese Worte aussprach, blieb mir für einen kurzen Moment das Herz stehen, und ich sah ihn entsetzt an. »Was meinst du damit?«
»Dein Vater hat angedeutet, dass du möglicherweise heute hier auftauchen könntest, und dass wir dich auf keinen Fall durchlassen sollen. Solltest du dich querstellen, dann…«
»Dann?« Ich konnte nicht fassen, was ich da hörte. Wusste mein Vater Bescheid? Und wenn ja: Wie viel wusste er genau? Zumindest aber musste er von Noé wissen, sonst hätte er die Wachen nicht vorgewarnt.
Die Männer vor mir zogen die Waffen und richteten die Läufe direkt auf mich. »Bitte zwing uns nicht dazu, es dir zu zeigen.«
Mein Körper erstarrte in purem Entsetzen. »Das muss wohl ein Scherz sein. Das würdet ihr nicht wagen!«
Der Kleinere kicherte boshaft. »Das kann man schon als aufmüpfiges Verhalten ansehen, wenn man will, oder?« Und im nächsten Moment hatte er seine Waffe auch schon entsichert.
»Az –« Ich musste seinen Namen nicht einmal komplett aussprechen, da ließ der Kleinere plötzlich seine Waffe fallen, und seine Hand schnellte an seinen Hals. Zu spät, denn im nächsten Moment gab es ein widerlich reißendes Geräusch, als sich die Sehnen voneinander trennten und sein Kopf laut krachend auf den Boden prallte.
»Unkata!«, schrie der andere entsetzt, und schon sah ich Azriel hinter ihm auftauchten. Mit
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