Der Weg in die Dunkelheit 1: Die Erwählte (German Edition)
Ich bin so nahe dran, Colin. Ich kann es schaffen.«
Er half mir auf die Beine. » Das ist es nicht wert.«
Ich berührte sein Gesicht, brannte mir ins Gedächtnis ein, wie seine stoppelbedeckte Wange sich anfühlte. » Ist es doch. Ich habe es versprochen. Soll ich etwa alle anderen leiden lassen, nur um selbst unversehrt zu bleiben?«
Er fuhr mir mit den Fingern durchs Haar, neigte mein Gesicht zurück und küsste mich, als wäre ich aus Glas. Auch das prägte ich mir ein; ich wollte es auf ewig festhalten. Doch es war so schnell vorbei, und er sah sich um, schätzte die Lage ein.
» Du brauchst Luc?«, fragte er. Hinter ihm kämpften Luc und Evangeline erbittert miteinander. Die Magie aus ihren Waffen erfüllte die Luft und vermischte sich mit den Funken aus dem Riss.
» Was?«
» Um das hier zu schaffen, brauchst du ihn doch, oder?«
Ich schüttelte den Kopf, aber Colin sah nicht hin. Stattdessen zog er die Pistole und schoss auf Evangeline. Die Kugel traf sie in den Bauch.
Sie schrie auf und richtete den Stab gegen Colin: Die blauschwarze Magie schleuderte ihn mit einem übelkeiterregenden Krachen von mir weg.
Ich schrie und kämpfte mich auf Colin zu. Ich schüttelte den Sog der Magie ab, die aus der Spalte hervordrang; die Anstrengung presste mir die Lunge zusammen. » Nein!«
Evangelines Kleider waren blutdurchtränkt, und sie drückte eine Hand auf die Wunde. Ein blaues Glühen breitete sich ebenso schnell aus wie der rote Fleck. Sie heilte sich selbst. Mit der anderen Hand richtete sie den Stab auf meine Kehle.
» Genug, Lucien, sonst töte ich sie augenblicklich.«
Luc erstarrte mitten in der Bewegung. Die rubinroten Lichter auf seinem Schwert flackerten zwar, aber er hielt sie zurück.
» Deine Arroganz ist atemberaubend, Mo. Du bist eine Flache. Du bist nichts als ein Abklatsch von Verity, und du maßt es dir an, hier einzugreifen? Du wirst nie sie sein. Du wirst Lucien nie bekommen, nicht wirklich, und du hast nichts, womit du kämpfen kannst. Du bist machtlos.«
Colin stieß einen schwachen Laut aus und war dann still. Ich musste mich mit aller Kraft zusammenreißen, um nicht zu ihm zu laufen. Tränen strömten mir übers Gesicht, aber ich konnte es mir jetzt nicht erlauben, mich ablenken zu lassen.
» Sie haben recht.« Ich schob mich langsam zurück unter den Torbogen und zu dem klaffenden Abgrund, mit kleinen, zögerlichen, fast widerwilligen Schritten. » Ich habe überhaupt nichts, bis auf das, was Verity mir in dem Durchgang gegeben hat. Ich wollte das nicht einmal. Aber einem Opfer wohnt Macht inne, nicht wahr? Das haben Sie einmal gesagt.«
Lucs Augen richteten sich auf meine; sein Schwert zielte immer noch auf Evangeline.
» Tut mir leid«, hauchte ich und erkannte an dem Entsetzen in seinem Gesicht den Augenblick, in dem er es begriff.
» Was sie dir auch gegeben hat, du wirst nicht genug sein«, konterte Evangeline und tastete sich über den aufgerissenen Boden vor, der unter ihr wankte. Ich benutzte die Ablenkung, um noch einen Schritt rückwärts zu machen, beinahe genau unter den Torbogen. Die vier Säulen pulsierten vor Magie, die Steinmetzarbeiten hoben sich weißglühend ab, und ein klagender, wirbelnder Nebel bildete sich zwischen ihnen. Das Geräusch übertönte fast ihre Worte. » Die Sturzflut bricht jetzt über uns herein. Es gibt nichts, was du tun kannst, um sie aufzuhalten.«
» Gut.« Die Magie schoss wie ein Geysir zwischen uns hoch, und Evangeline starrte mich an. Ihre Augen weiteten sich, als es ihr dämmerte. » Denn ich will die Sturzflut nicht aufhalten, Evangeline. Ich will zu ihr werden.«
Um mich herum brach der Torbogen zusammen. Ich trat in die Mitte zwischen die vier gemeißelten Säulen, streckte die Hände aus und ließ mich vom Nebel verschlingen.
Kapitel 29
Der Tempel verschwand.
Alles verschwand, und die ganze Welt wurde von einem so gleißenden Weiß überdeckt, dass es wirkungslos blieb, die Augen zusammenzukneifen. Einen Moment lang– die Spanne zwischen zwei Herzschlägen– gab es nichts als Weiß und völlige Stille, und dann, als würde ein Herz wieder zu schlagen beginnen, stürzte die Welt auf mich ein, und ich sah zu, wie sie sich völlig neu bildete.
So muss sich Gott fühlen, dachte ich benommen. Ich war überall, überall zugleich, und ich wusste alles. Ich konnte den Tempel wie aus einiger Entfernung sehen, Luc und Evangeline und Colin, alle erstarrt, während die Magie um sie herum loderte. Ich sah meine Mutter, die die
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