Der Weg in Die Schatten
interessante Spekulationen. Sie setzt Hogan ein wenig unter Druck und spielt mit seinen Wunden, aber er hält an seiner Geschichte fest. Sie ist geneigt, ihm zu glauben, wie phantastisch es sich auch anhört. Hogan ist nicht der Typ, der um einer Lüge willen Qualen erduldet. Er ist vielmehr ein Zwerg, ein Botenjunge, der zur falschen Zeit am falschen Ort war und dafür möglicherweise mit dem Leben bezahlen muß. Von dieser Sorte scheinen eine Menge herumzulaufen.
Sie läßt ihm seine hübsche Kanone da.
Das Zimmer könnte direkt der Verbotenen Stadt des letzten chinesischen Kaiserreichs entsprungen sein, trägt aber auch eindeutig japanische Einflüsse. Glänzende Lackschirme stehen in allen vier Ecken. Luxuriöse Samtbehänge verhüllen die Wände. Die Teppiche sind üppig. Die Möblierung ist jedoch spärlich, niedrig gehalten und von einfacher und schmuckloser Machart. Im Zimmer stehen außerdem ein Holzgestell mit einigen Schwertern darin, bemalte Tonschalen, ein paar Gemälde, künstliche Blumen und eine große goldene Maske, die wie ein mythisches orientalisches Monster aussieht. Das Zimmer duftet stark, und zwar nach einer so unglücklichen Mischung verschiedener Gerüche von Räucherstäbchen, Badeölen, Duftsalzen und Parfümen, daß Tikki ziemlich stark kämpfen muß, um einen gewaltigen Niesreiz zu unterdrücken.
Der Raum hat keine Fenster, und die Beleuchtung ist trübe.
Sie steht Prince gegenüber, der mit gekreuzten Beinen auf einem riesigen Sitzkissen hinter einem kleinen Holztischchen thront, auf dem diverse goldene Platten mit verschiedenen Fleischsorten stehen. Er ist häßlich, sogar für einen Ork.
Abgesehen von einigen anderen Dingen ist er außerdem ziemlich fettleibig. Seine glänzenden Satinklamotten sind protzig, was möglicherweise ein Zeichen dafür ist, daß Prince Macht mit auffälliger Zurschaustellung von Reichtum gleichsetzt.
Zur Rechten des Tisches kniet eine von Prince’ Geishas. Sie trägt einen Kimono und sieht größtenteils menschlich aus, riecht aber nach Ork. Links vom Tisch sitzen zwei Barghests ‐ einer schwarz, der andere weiß. Ein als Studs bekannter Ork hält die Leine der Hunde. Er ist über zwei Meter groß und so gebaut, daß er Wände einreißen, Türen einschlagen und Leute auseinandernehmen kann. Nach kurzem Blick vermutet Tikki, daß er mit Cyberware ausgerüstet ist. Die Hinweise sind vage und unbestimmt, aber sie traut ihren Instinkten. Studs Augen haben einen gewissen Mangel an Tiefe, seine Haltung eine Art mechanischer Unbeholfenheit. Seinem Geruch haftet außerdem etwas Fremdartiges an, das sie im Laufe der Zeit gelernt hat, mit den künstlich Verstärkten zu assoziieren.
Prince bedeutet ihr, näherzutreten, während er Fleisch von einem großen Knochen nagt. »Was willst du?«
Bevor sie antworten kann, reagieren die höllisch aussehenden Hunde auf ihr Eintreten. Sie lassen sich nicht von ihrer menschlichen Gestalt täuschen. Sie riechen die Tigerin.
Der Schwarze knurrt und schnappt nach ihr, wobei er heftig an der Leine zerrt. Der Weiße weicht ein wenig zurück, indem er sie abwechselnd anknurrt und ängstlich winselt. Je näher sie Prince kommt, desto heftiger schnappt der Schwarze nach ihr und desto verängstigter wirkt der Weiße.
Studs, der Leibwächter duckt sich und reißt so heftig an der Leine, daß das Knurren des Schwarzen abgewürgt wird.
»Was wolltest du sagen?« fragt Prince.
»Schick sie weg!«
Prince schaut von seinem Essen auf, dann entläßt er die Frau achselzuckend mit einer Handbewegung. Tikki ist in letzter Zeit zu der Überzeugung gelangt, daß man weder Freudenmädchen noch Freudenjungen, menschlich oder sonstwie, trauen kann. Sie sind durch die Bank Plaudertaschen. Sie wartet, bis die Orkfrau verschwunden ist.
»Jemand hat einen Kerl namens Hogan abgestochen und ihm etwas abgenommen. Das will ich zurückhaben.«
»Dieses Etwas gehört dir?«
Tikki schüttelt den Kopf. »BioDynamics.«
Prince rülpst und setzt sein Mahl fort. Tikki ist nicht überrascht. Prince ist ein Händler, jemand, der heiße Ware kauft und verkauft. Er wird niemandem etwas geben, nur weil man ihn darum bittet. Wenn man etwas von ihm haben will, muß man feilschen können. »Wieviel bist du bereit, für dieses Etwas zu zahlen?« fragt er.
»Zahlen?« erwidert sie.
Prince sieht vorübergehend zu ihr auf, dann senkt er den Blick und spannt sich sichtlich, letzteres, weil sie ihn unbewegt aus schmalen Augenschlitzen anstarrt. Sie
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