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Der Weg in Die Schatten

Titel: Der Weg in Die Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordan Weisman
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hat keinen anderen Zufluchtsort mehr.«
    Tikki nickt.
    Sie beschreiben einen Menschen, der verzweifelt ist, aber Tikki hört die tiefere Bedeutung heraus, daß sie gewarnt wird, auf der Hut zu sein, die Dinge genauestens zu untersuchen, nichts als gegeben vorauszusetzen. Sie nimmt diesen Rat sehr ernst, denn sie hat nicht bloß wölfische Jäger vor sich. Es sind Spürer. Ihre Sinne sind ganz besonders empfindlich. Was sie in Wolfsgestalt der Geruchswelt entnehmen können, übersteigt das, was sie als Tigerin spürt, bei weitem. Es ist wahrscheinlich millionenmal mehr als das, was ein durchschnittlicher Mensch wahrnehmen kann. Es gibt Abstufungen und Schattierungen des Geruchs, die sich sprachlich nicht präzise definieren lassen, so daß ihre Warnung notwendigerweise ungenau ist.
    »Steel will, daß ihr euch raushaltet.«
    Das Männchen in Menschengestalt nickt. »Verstanden.«
    ›Steel‹ ist ein Name, der manchmal anstelle von Castillano benutzt wird. Nur wenige Leute kennen diesen Namen, der für besondere Gelegenheiten reserviert ist.
    Die Spürer ziehen sich in die tiefere Dunkelheit der Gasse zurück. Tikki nimmt eine geeignete Feuerleiter auf die Dächer und springt dann von Dach zu Dach, bis sie ihr Ziel erreicht hat. Dort findet sie eine Art Pavillon mit einer Tür vor, die zweifellos zu irgendeiner Treppe führt. Die Tür ist verschlossen, aber das ist kein Hindernis für jemanden mit dem richtigen Werkzeug. Einbruch gehört zu ihrem Rüstzeug.
    Sie ist zwar nicht die Künstlerin, die ihre Mutter war, aber es reicht. Keine Alarmanlagen, keine Probleme. Tikki betritt lautlos die Treppe und zieht eingedenk der Warnung der Spürer die Kang.
    Niemand auf der Treppe, niemand auf dem Korridor der dritten Etage. Dies ist eine Art von billiger Absteige. Sie geht rasch zur Tür von 302.
    Wenn sie in Tacoma oder, noch besser, in den Barrens wäre, würde sie das Schloß einfach herausschießen und die Tür eintreten. So nahe am Flughafen wäre dieses Vorgehen jedoch unklug. In diesem Bezirk gibt es viele Polizeistreifen. Sie probiert es lieber mit dem Magschloß‐Decoder, dasselbe Modell, das die Bullen benutzen. Sehr teuer. Als das Schloß klickt, öffnet sie die Tür und schiebt sich in den Raum. Er ist schäbig. Zur Linken ein Wandschrank, Fenster zur Hintergasse. Das Bett ist eine auf den Fußboden geworfene Matratze. Das bringt eine vertraute Saite in ihr zum Klingen.
    Bei der Sorte Bett, die die meisten Menschen bevorzugen, Gestelle, die sich einen Meter über den Fußboden erheben, kommt sie sich immer vor wie ein von Ast zu Ast schwingender Primat.
    Der Mann, der auf der Matratze liegt, muß Hogan sein ‐ schlank und dünn, blond und nach Tabak stinkend, genau wie Castillano ihn beschrieben hat. Hogan macht einen Versuch, nach der Waffe zu greifen, die links von ihm inmitten des Durcheinanders leerer Schnapsflaschen und einem überquellenden Aschenbecher liegt. Als er die Kanone sieht, die bereits auf sein Gesicht gerichtet ist, hält er inne und zieht die Hand zurück.
    »Du bist ziemlich hinüber«, bemerkt Tikki.
    Hogan hustet und wirft ihr einen verwirrten Blick zu, während er langsam die Hand hebt. Das läßt sie vermuten, daß der Mann den Stadtslang nicht versteht.
    Sie versucht es noch einmal in Englisch.
    Jetzt nickt der Mann. »Das bin ich, Süße.«
    Hogans Kleidung ist zerrissen. Praktisch jeder Millimeter entblößter Haut ist zerstochen und zerkratzt, als hätte er durch Stacheldraht zu kriechen versucht. Nur die allerschlimmsten Wunden scheinen versorgt worden zu sein. Die Verbände an der linken Schulter, Arm und rechtem Oberschenkel deuten eher auf die hastigen Bemühungen eines Mannes auf der Flucht als auf ambulante Behandlung in einem DocWagon hin.
    Die Überreste der Bettlaken, die zum Anfertigen der Verbände benutzt worden sind, liegen auf einem Haufen in der Tür zum Waschraum.
    Tikki nähert sich dem Bett so weit, daß sie Hogans Waffe mit dem Fuß wegschieben kann. Die Pistole ist ein Schweizer Fabrikat, eine Krüger 7mm, sehr schick. Die Zigarettenstummel im Aschenbecher haben Goldfilter, eine russische Marke namens Sobranie. Castillano hat diesen Punkt ebenfalls erwähnt.
    »Wo soll ich beginnen?«
    Hogan sieht sie fragend an und hustet wieder. Zum Zwecke der Erklärung läßt Tikki den Lauf der Kang über Hogans Körper wandern. Raffinierte Verhörmethoden liegen ihr nicht.
    Die Kang ist mit einem überschweren Schalldämpfer von der Größe ihres Unterarms

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