Der Weg in Die Schatten
sowas bloß nie mehr mit mir an!«
»Nun, Witt, ich hatte dir doch gesagt, daß wir uns hier treffen. Was hast du denn erwartet ‐ daß ich mich zusammen mit dir da reinquetschen würde? Glaub mir, das ist nicht mein Stil!«
Lipton lehnte sich schwer an den Automaten, und sein Atem beruhigte sich nur langsam. »In Ordnung, ich bin da. Was willst du?«
»Es geht nicht darum, was ich will, Witt, sondern was Brilliant Genesis will. Sie machen sich Sorgen, daß du vielleicht Hintergedanken hast.«
Lipton lachte leise. »Keine Spur. Ich bin weg. Die Leute von MegaMedia sind Abschaum; sie haben einfach eine Woche aus meinem Produktionsplan gestrichen.«
»Das ist zu schade, Witt«, meinte Jack. Eine Pause. Dann: »Was macht Honey?«
»Honey?«
»Honey Brighton. Du hast gerade mit ihr zu Abend gegessen.«
»Nun … na ja.«
»Das vierte Mal in dieser Woche, wenn ich die Akte über die Fahrten richtig lese. Echt feine Lokale, wo ihr wart.«
»Und?«
»Und Brilliant Genesis macht sich deshalb Sorgen, du könntest Hintergedanken haben.«
»Ich sagte doch schon, daß es nicht stimmt!«
»Goldman hat Alzar auch erzählt, er hätte nicht vor, Tripolis zu bombardieren, und wir alle wissen, was daraufhin geschah.«
»He, Jack, was soll der Scheiß?«
»Nichts Persönliches, Witt. Die Leute, die die Rechnung bezahlen, wollen nur wirklich sichergehen. Für den Fall, daß du es noch nicht weißt: Sie haben für dich fast schon eine Viertelmillion Nuyen durchgejagt.«
»Wahrscheinlich für deine Telefonrechnungen.«
»Ha! Gut gekontert, Witt! Betrachte es als einen tollen Witz, und dein Gehirn wird länger ticken.«
»Okay …«
»Was ist mit Honey?«
»Was soll mit ihr sein?«
»Wieso die ganzen Abendessen?«
»Ich weiß nicht. Ich schätze … ich meine, sie ist ein Freund.«
»Wie kommt es, daß sie ja sagt?«
»Wie bitte?«
»Tut mir leid, ich hab mich falsch ausgedrückt. Honey ist doch ein Simsinn‐Star, stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Da sollte man doch erwarten, daß sie sich mit anderen Simsinn-Stars trifft, mit Medienleuten, weißt du, mit wichtigen Typen.«
»Und?«
»Da paßt es doch nicht ins Bild, wenn sie sich in einem schicken Lokal vor aller Augen mit einem Techtypen trifft, selbst wenn er ein bißchen öffentliches Ansehen genießt, oder?«
»Ich schätze schon.«
»Wieso war Honey Brighton dann in den letzten beiden Wochen sechsmal mit dir aus, Witt? Neugierige Seelen wüßten das gerne.«
»Jack«, sagte Witt, »sie hat mich ganz einfach darum gebeten.«
Die Welt beherbergt Raubtiere, die in ihren engen, dunklen Löchern sitzen und darauf warten, daß Beute des Weges kommt. Manchmal hocken sie sich allerdings absichtlich mitten auf den Weg der Beute und hoffen, ihre Chancen ein bißchen zu verbessern. Heute sind wir die Raubtiere, und Cortez’ Mittagsgast stellt die Beute dar.
Er ist ein zäher Kerl, das muß ich gestehen. Und obendrein paranoid. Er kennt die Umwege und die Stellen, wo man sich an den Gefahren vorbeidrücken kann. Wir sind ihm zweimal gefolgt, und zweimal haben wir es verpfuscht. Wenn wir mehr Zeit hätten, würden wir es wieder probieren, aber wir haben nun mal keine. Sagt Raphael. Wir haben ihn überhaupt nur ein einziges Mal erwischt ‐ bei seinem Treffen mit Cortez. Wir mußten nur Sammy folgen, der uns zu dem geheimnisvollen Gast führte. Um mehr über Mr. Cortez zu erfahren, mußten wir den anderen in die Finger bekommen, besonders jetzt, wo wir die hochauflösende Aufzeichnung ihres Gespräches verloren hatten, als die Drohne umgepustet wurde. Cortez hatte ihn einmal ›George‹ genannt. Soviel wußten wir wenigstens.
Es war früh am Morgen, wenige Stunden nach einem kurzen, heftigen Regenschauer, und George verließ Cortez’
Condoplex nach einem Frühstückstreffen. Cortez war noch oben und würde es weitere vierzehn Minuten bleiben. Er machte sich nie vor sieben Uhr zwölf auf den Weg zur Arbeit.
Als Rafe und Janey in seiner Wohnung gewesen waren, hatten wir überlegt, ob wir sie verwanzen sollten, uns aber dagegen entschieden. Rafe hatte in Cortez’ Desktop‐Terminal einen regelmäßigen Auftrag an LoneStar Security für Wohnungskontrollen gefunden. Sam ließ seine Wohnung jeden zweiten Tag von den Pros durchsuchen. Man tut das nicht, wenn man keinen Grund dafür hat. Wir standen in einem Versteck ein kurzes Stück vom Condoplex entfernt und beobachteten durch die Glasscheiben, wie George aus dem Fahrstuhl kam und sich der Tür
Weitere Kostenlose Bücher