Der Weg in Die Schatten
denen er anhing.
Er fragte seinen Meister nicht nach dem Auftrag. Blint sprach nie gern nach getaner Tat über einen Auftrag. Das gefiel den Nachtengeln nicht, sagte er. Kylar deutete dies als: Lass meine Erinnerungen verblassen.
Die Phiole mit dem Gift der Weißen Natter stand mit dem
Rest von Blints Sammlung auf dem Tisch, aber um sich selbst ebenso wie Blint abzulenken, sagte Kylar: »Ich denke nicht, dass es funktionieren wird. Ich habe all Eure Bücher durchgesehen. Nirgendwo findet sich etwas darüber.«
»Sie werden ein neues Buch schreiben«, erwiderte Blint. Er machte sich daran, die vergifteten Klingen in spezielle Kästen zu legen und diejenigen abzuwischen, deren Gift mit der Zeit verdarb.
»Ich weiß, dass Tiere einige Gifte fressen können und davon nicht krank werden. Und ich weiß, dass Ihr krank werdet, wenn Ihr das Fleisch dieser Tiere esst. Das haben unsere Experimente bewiesen. Aber dann ist Eure ›Leiche‹ einfach nur krank. Das ist gut und schön, aber diese Sache mit dem zweifachen Gift - ich verstehe es nicht.«
Blint hängte sein Waffengeschirr auf. »Die ›Leiche‹ isst das Schweinefleisch, und sie spürt nichts. Vielleicht ist sie ein wenig beschwipst. Sie isst die Wachtel, und ihr wird schwindlig. Sie isst beides, und sie stirbt. Die Gifte wirken zusammen, um ihr volles Potenzial zu entfalten.«
»Aber Ihr müsst trotzdem ein ganzes Schwein und einen Schwarm Wachteln am Vorkoster vorbeibekommen.«
»Große Häuser benutzen mehrere Vorkoster. Bevor sie Verdacht schöpfen, ist die ›Leiche‹ tot«, erklärte Blint.
»Aber dann vergiftet Ihr jeden im Raum. Ihr könnt nicht kontrollieren -«
»Ich kontrolliere alles!«, rief Blint. Er warf ein Messer weg und ging hinaus, wobei er die Tür so heftig zuschlug, dass alle Waffen an der Wand klirrten.
Elene starrte auf die leere Seite und tauchte die trocknende Feder wieder in das Tintenfass. Weiter unten am Tisch im Speisezimmer
der Drakes spielten Mags und Ilena Drake ein Brettspiel. Mags, die ältere Schwester, war voll konzentriert, doch Ilena blickte immer wieder zu Elene hinüber.
»Warum«, fragte Elene, »verliebe ich mich immer in unerreichbare Männer?« Elene Cromwyll war schon seit Jahren mit Mags und Ilena Drake befreundet. Die Kluft zwischen einer Dienstmagd und den Töchtern eines Grafen hätte eine Freundschaft unmöglich machen sollen, aber für die Drakes waren im Angesicht des Einen Gottes alle Menschen gleich. Während sie älter wurden, war den Mädchen stärker ins Bewusstsein gedrungen, wie seltsam ihre Freundschaft war, daher war sie ein wenig privater geworden, aber nicht weniger real.
»Dieser Parkhüter, Jaen, war erreichbar«, bemerkte Ilena, während sie einen Stein bewegte. Mags betrachtete stirnrunzelnd den Zug und sah dann ihre fünfzehn Jahre alte Schwester an.
»Das hat ja auch nur zwei Stunden gedauert«, erwiderte Elene. »Bis er zum ersten Mal seinen fetten Mund aufgemacht hat.«
»Irgendwann musst du doch mal in Pol verliebt gewesen sein«, meinte Mags.
»Eigentlich nicht. Er hat mich nur so sehr geliebt, dass ich dachte, ich sollte ihn wiederlieben«, sagte Elene.
»Pol war wenigstens echt«, warf Ilena ein.
»Ilena, sei nicht so gemein«, protestierte Mags.
»Du bist nur böse, weil du wieder verlierst.«
»Das stimmt nicht!«, sagte Mags.
»Ich werde in drei Zügen gewinnen.«
»Ach ja?« Mags betrachtete die Spielsteine. »Du kleines Biest. Ich zumindest bin froh, dass du Pol abgewiesen hast, Elene«, erklärte Mags. »Aber jetzt hast du keinen Begleiter für unser Fest.«
Elene hatte sich von dem Tintenfass abgewandt und das Gesicht in den Händen vergraben. Sie seufzte. »Habt ihr eine Ahnung, was ich ihm letztes Jahr geschrieben habe?« Sie starrte auf das leere Papier vor sich.
»Ich wusste gar nicht, dass Pol lesen kann«, bemerkte Ilena.
»Nicht Pol. Meinem Gönner.«
»Was immer du geschrieben hast, er hat nicht aufgehört, Geld zu schicken, oder?«, fragte Ilena, ohne den mörderischen Blick ihrer Schwester zu beachten. Ilena Drake war erst fünfzehn, aber meistens schien sie Mags ziemlich gut unter Kontrolle zu haben. Bei der ältesten der drei Schwestern, Serah, gelang ihr das Gleiche allerdings nicht.
»Er hat niemals aufgehört. Nicht einmal als ich ihm geschrieben habe, dass wir mehr als genug Geld hätten. Aber es geht nicht um das Geld, Ilena«, sagte Elene. »Letztes Jahr habe ich ihm geschrieben, dass ich in ihn verliebt sei.« Sie konnte es kaum
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