Der Weg in Die Schatten
einen Finger, um ihm Schweigen zu gebieten. Die Schritte waren jetzt nah. Durzo riss die Tür auf und stürzte mit übermenschlicher Schnelligkeit in den Flur hinaus, während sein Schwert in dem schwachen Licht silbern blitzte.
Sein Schwert blitzte silbern? Die Klinge von Vergeltung war schwarz.
Er vernahm das Geräusch von etwas Metallischem, das über Marmor rollte. Es kam auf Kylar zu. Er hob eine Hand und spürte, wie der Ka’kari in seine ausgestreckten Finger klatschte.
»Nein! Nein, er gehört mir!«, brüllte Blint.
Der Ka’kari zerfloss binnen eines Augenblicks wie schwarzes Öl.
Was hatte Durzo gerade gesagt? Das Silber war eine weitere Fälschung. Du hast meinen Ka’kari gestohlen. Keinen silbernen Ka’kari. Einen schwarzen Ka’kari. Den Ka’kari, den Durzo jahrelang gehabt hatte, der von allen anderen unerkannt die Klinge von Vergeltung bedeckt hatte.
Die Ka’kari wählten ihre Herren selbst. Aus irgendeinem Grund hatte der schwarze Ka’kari Kylar gewählt. Vielleicht hatte er ihn vor Jahren gewählt, an dem Tag, an dem Durzo ihn geschlagen hatte, weil er Puppenmädchen wiedergesehen hatte. An jenem Tag, als ein blauer Schimmer die schwarze Klinge umgeben hatte. Als Durzo gerufen hatte: »Nein, nicht das! Es gehört
mir!«, während durchscheinend blaues Feuer in Kylars Fingern gebrannt hatte. Durzo hatte es Kylar entrissen, so dass er den Ka’kari nicht vollständig hatte binden können, denn sobald er das tat, würde Kylar den silbernen Ka’kari für Durzo nicht mehr rufen. Jetzt wussten sie, dass er ihn nicht gerufen hatte, weil er eine Fälschung gewesen war. Es hatte keinen anderen Ka’kari in der Stadt gegeben als Durzos schwarzen. Und Durzo hatte von jenem Tag an gewusst, dass der schwarze Ka’kari für ihn verloren sein würde, wenn er Kylar am Leben ließ. Durzo hatte den Ka’kari sogar heute Nacht für ihn liegen lassen, damit Kylar eine Chance hatte.
Aber jetzt war es zu spät.
Durzo sah so aus, als wolle er noch mehr sagen, als wolle er seiner Qual Ausdruck verleihen. Aber er war nie ein Mann der Worte gewesen.
Stattdessen schleuderte er, nur Schritte entfernt, das Messer nach Kylar.
Die Zeit verlangsamte sich nicht.
Die Welt zog sich nicht zur Spitze des kreiselnden Messers zusammen.
Kylar bemerkte nicht einmal, dass er die Hände hochgerissen hatte, wusste nicht, wie er sich befreit hatte, konnte nicht sagen, wie der Ka’kari von der Klinge auf dem Boden in seine Hand gelangt war. Er war einfach da.
In diesem unverlangsamten Bruchteil einer Sekunde spritzte etwas Schwarzes von seinen Fingerspitzen auf das Messer, das auf seine Brust zuflog.
Als Kylar wieder hinsah, war das Messer einfach weg.
Ting.
Kylar blickte hinab, um zu sehen, was das Geräusch verursacht hatte. Der Ka’kari rollte über den Boden und kam auf ihn
zu. Er zitterte, während er rollte, und als er Kylars Stiefel hinauf kletterte und mit seiner Haut verschmolz, spürte Kylar ein Anschwellen von Macht.
Mit einem innerlichen Achselzucken sprengte Kylar die Phantomhände, die ihn an der Wand festhielten. Als er ruhig und sicher stand, streckte er seinem alten Meister die Hand entgegen und ließ die Kraft frei, die ihn erfüllte.
Durzo wurde weggeschleudert, als sei die ganze Wucht eines Hurrikans auf ihn losgelassen worden. Er überschlug sich mehrmals und rollte durch den Raum, bis er gegen die Wand schlug.
Mit seiner Magie zog Kylar Vergeltung in seine Hand.
»Kämpfe nicht, wenn du nicht gewinnen kannst«, sagte Kylar. »Und kämpfe nicht, wenn du nicht gewinnen willst. Richtig?«
Durzo rappelte sich mühsam hoch und stand waffenlos da. Er nahm Kampfposition ein und feixte. »Manchmal muss man kämpfen.«
»Nicht diesmal«, erwiderte Kylar. Er hob das Schwert und nahm Anlauf. Durzo bewegte sich nicht; er sah Kylar nur in die Augen und war bereit. In der letzten Sekunde wich Kylar zur Seite aus und sprang durch das Fenster in die mondhelle Nacht hinaus.
Einer der Männer auf dem Boot war Roth gewesen.
57
Logan hatte nicht die Absicht, irgendjemandem zu erlauben, seinen Sack als Münzbeutel zu benutzen, erst recht nicht Roth Ursuul. Tatsächlich hatte er die Absicht, den Bastard zu töten. Er machte sich keine Sorgen darüber, dass er unbewaffnet und immer noch nackt war - Roth hatte angenommen, dies würde ihn seiner Würde berauben -, denn der Zorn verlieh ihm Macht. All die Grausamkeit, die Verkommenheit und das Entsetzen, die Logan während des vergangenen Tages mit angesehen hatte,
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