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Der Weg in Die Schatten

Titel: Der Weg in Die Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Weeks
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Eidechsen anführen. Aber er wollte es auch nicht. Er wollte nicht, dass die Kleinen ihn ansahen, als sei er ihr Vater, wollte nicht, dass die Großen, die ihn überragten, ihn ansahen, als wüsste er, was er tat, als würde er sie alle beschützen. Er konnte nicht einmal sich selbst beschützen. Dies alles war ein Betrug. Er war ein Betrüger. Er war in die Falle gelockt worden, und sie bemerkten es nicht einmal.
    Das unverkennbare Geräusch, mit dem die Vordertür zur Seite geschoben wurde, kündigte Rattes Rückkehr an. Azoth hatte solche Angst, dass er geweint hätte, hätte er Dachs nicht befohlen, wach zu bleiben. Er konnte nicht vor einem seiner Großen weinen. Er war davon überzeugt, dass Ratte zu ihm kommen würde, dass er seinen Großen befehlen würde, ihn hochzuheben und ihn zu irgendeiner entsetzlichen Bestrafung fortzubringen, neben der Jarls Leiden harmlos wirkten. Aber wie es seine Art war, ging Ratte zu seinem Harem, legte sich nieder und war binnen Sekunden eingeschlafen.
    Ein Blutjunge würde nicht weinen. Azoth versuchte, seine Atmung zu verlangsamen, versuchte zu lauschen, um festzustellen, ob Rattes Leibwächter ebenfalls schliefen.
    Blutjungen hatten keine Angst. Sie waren Auftragsmörder. Andere Leute hatten Angst vor ihnen. Jeder in den Diensten der Sa’kagé hatte Angst vor ihnen.
    Wenn ich hier liege und versuche, wieder zu schlafen, wird vielleicht erneut eine Nacht oder eine Woche vergehen, ohne dass etwas geschieht, aber Ratte wird mich erwischen. Er wird alles vernichten. Azoth hatte den Blick in seinen
Augen gesehen. Er glaubte, dass Ratte ihn vernichten würde, und er glaubte nicht, dass bis dahin noch eine Woche vergehen würde. Es ist entweder das, oder ich töte ihn zuerst. In Gedanken sah Azoth sich als Helden wie aus der Geschichte eines Barden: Er gab Jarl sein Geld zurück, alle in der Gilde würden ihn lieben, weil er Ratte getötet hatte, und Puppenmädchen würde zum ersten Mal sprechen, Anerkennung würde in ihren Augen leuchten, und sie würde ihm sagen, wie mutig er war.
    Es war dumm, und Dummheit konnte er sich nicht leisten.
    Er musste pinkeln. Azoth stand wütend auf und ging zur Hintertür. Rattes Leibwächter bewegten sich nicht einmal im Schlaf, als er an ihnen vorbeiging.
    Die Nachtluft war kalt und ranzig. Azoth hatte den größten Teil des Abgabengeldes dafür verwendet, seine Eidechsen durchzufüttern. Heute hatte er Fisch gekauft. Die immer hungrigen Kleinen hatten sich über die Eingeweide hergemacht und sie gegessen und waren krank geworden. Während sein Urin in hohem Bogen in die Gasse spritzte, dachte er, dass er jemanden hätte beauftragen sollen, nach ihnen zu schauen. Eine Sache mehr, die er übersehen hatte.
    Er hörte ein schabendes Geräusch aus dem Innern des Gebäudes und drehte sich um, während er seine Hose hochzog. Aber als er in die Dunkelheit blickte, konnte er nichts sehen. Die Dinge entglitten ihm, er zuckte bei Geräuschen zusammen, wenn sechzig Gilderatten sich im Haus zusammendrängten, schliefen, mit leeren Mägen stöhnten und sich gegen ihre Nachbarn wälzten.
    Plötzlich lächelte er und berührte das Shiv. Es mochte hundert Dinge geben, die er nicht wusste, und tausend weitere, die er nicht kontrollieren konnte, aber er wusste, was er jetzt tun musste.

    Ratte musste sterben; so einfach war das. Was danach mit Azoth geschah, spielte keine Rolle. Ob sie ihm dankten oder ihn töteten, er musste Ratte umbringen. Er musste ihn töten, bevor Ratte sich Puppenmädchen schnappte. Er musste ihn jetzt töten.
    Und damit war die Entscheidung getroffen. Azoth hielt das Shiv am Handgelenk versteckt und trat ein. Ratte würde inmitten seines Harems schlafen. Es würde Azoth nur einen Umweg von zwei Schritten kosten. Er würde so tun, als stolperte er, für den Fall, dass die Großen hinsahen, und dann würde er Ratte das Shiv in den Bauch rammen. Er würde wieder und wieder auf ihn einstechen, bis entweder Ratte tot war oder er selbst.
    Azoth war nur noch vier Schritte von seinem Angriff entfernt, als sein eigener Schlafplatz in Sicht kam.
    Dachs lag in der Dunkelheit auf dem Rücken, und eine dünne Linie zog sich über seinen Hals, schwarz auf weißer Haut. Seine Augen waren offen, aber er bewegte sich nicht.
    Puppenmädchens Platz war leer. Sie war fort, und Ratte war es ebenfalls.

9
    Er lag in der Dunkelheit, zu benommen, um zu weinen. Selbst in seinem plötzlichen, blinden Schrecken wusste Azoth, dass Rattes Große nicht schliefen. Das

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