Der Weg in Die Schatten
Beinen daran festzuklammern versuchte. Der Pfeiler war zu dick, als dass er ihn ganz hätte umfassen können. Die Eisenverkleidung erwies sich als so glitschig, dass er sich daran nicht festhalten konnte, und unter dem feuchten Schleim als so rau, dass Kylar sich die Innenseiten der Arme und Schenkel aufschürfte, während er daran herunterrutschte.
Er glitt so langsam ins Wasser, dass das Spritzen kaum hörbar war. Vorsichtig tauchte er wieder auf und hielt sich im Schutz des Pfeilers, während das nächste Boot vorbeifuhr.
Wegen des Gewichts der Waffen, die er trug, konnte er nicht schwimmen, aber er stieß sich kräftig von dem Brückenpfeiler ab und kam so nahe genug ans Ufer, dass er den Rest des Weges auf dem Grund des Flusses gehend zurücklegen und sich schließlich aus dem Wasser ziehen konnte, kurz bevor ihm die Luft ausging.
Am Ufer entlang ging er nach Norden - etwa auf der gleichen Route, der er in der vergangenen Nacht gefolgt war.
Kylar fand einen Platz im Bootshaus und reinigte seine Waffen. Er musste davon ausgehen, dass all seine Gifte weggewaschen worden waren - den zweiten Tag in Folge. Er wrang seine Kleider aus, wagte es jedoch nicht, sich die Zeit zu nehmen, um sie zur Gänze trocknen zu lassen. Jetzt, da er hier war, wollte er lediglich schnell hinein und wieder heraus. Er sah sich im Bootshaus
um. Es war unbewacht. Anscheinend glaubten die Khalidori, ihre Patrouillen seien genug.
Zwei Männer bewachten die lange Rampe, die zum Schlund hinunterführte. Sie waren angespannt und fühlten sich offensichtlich auf ihrem Posten nicht besonders wohl. Kylar machte ihnen keine Vorwürfe. Er hätte sich auch nicht wohlgefühlt angesichts des Gestanks, der regelmäßig erklingenden Schreie und des gelegentlichen Rumorens in der Erde.
Zwei Hiebe mit Vergeltung, und die Männer starben. Er zog ihre Leichen ins Gebüsch und nahm ihnen die Schlüssel für die Tür ab.
Der Eingang zum Schlund war so gestaltet worden, dass er die dort Eintretenden mit Angst und Schrecken erfüllte. Als Kylar das Tor öffnete, stellte er fest, dass die Rampe tatsächlich aussah wie eine Zunge, die in eine riesige Kehle hinabführte. Krumme Zähne aus schwarzem vulkanischem Glas umgaben sie, und Fackeln hingen hinter rotem Glas und sahen aus wie zwei flackernde, dämonische Augen.
Hübsch. Kylar ignorierte alles bis auf die Geräusche von Menschen. Er glitt die Zunge hinab und wandte sich einen Flur hinunter, in die Richtung, in der die Zellen der Adligen lagen.
Er fand die Zelle, nach der er Ausschau hielt, überprüfte die Tür auf Fallen und verbrachte einen Moment damit, im Flur zu warten und einfach nur zu lauschen. Es war Wahnsinn - er hatte Angst, die Tür zu öffnen. Sich Elene und Uly stellen zu müssen, machte ihm mehr Angst als die bisherigen Begegnungen mit Hexern und sein Kampf gegen die Sa’kagé.
Götter! Er war hier, um Elene zu retten, und er hatte Angst vor dem, was sie sagen würde. Lächerlich. Oder vielleicht fürchtete er das, was sie nicht sagen würde, fürchtete schon die Art, wie sie ihn ansehen würde. Er hatte alles für sie gegeben! Aber sie
wusste es nicht. Sie konnte nur wissen, dass sie nichts Unrechtes getan hatte und jetzt im Gefängnis war.
Nun, es würde nicht besser dadurch, dass er wartete.
Kylar öffnete das Schloss, ließ sich wieder sichtbar werden und zog seine schwarze Maske herunter.
In der drei mal drei Meter großen Zelle saß Elene auf dem steinernen Bett und ein hübsches kleines Mädchen auf ihrem Schoß. Kylar beachtete das kleine Mädchen kaum. Sein Blick galt einzig Elene. Sie starrte ihn verblüfft an. Ihr Gesicht war eine Maske - in einem buchstäblicheren Sinn, als es Kylar gefiel, da die Haut um ihre Augen geschwärzt war, eine Folge der Schläge, die er ihr versetzt hatte. Sie sah aus wie ein zerzauster Waschbär.
»Vater!«, rief das kleine Mädchen und wand sich aus Elenes Griff. Elene, die Kylar immer noch anstarrte, bemerkte es kaum. Uly schlang die Arme um Kylar und zog ihn an sich. »Mutter hat gesagt, du würdest kommen! Sie hat geschworen, du würdest uns retten. Ist sie bei dir?«
Kylar riss den Blick von Elene los, deren Augen plötzlich schmal geworden waren, und versuchte, sich von dem kleinen Mädchen zu befreien. »Ähm, du musst Uly sein«, sagte er.
Mutter? Meinte sie Momma K? Oder ihre Kinderfrau? Diese »Vater«-Geschichte würde er später klären. Was sollte er sagen? »Tut mir leid, deine Mutter ist wahrscheinlich tot, und ich bin
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