Der Weg in Die Schatten
übrig geblieben von den Geschichten über Prinzen und Helden, die Ulana Drake ihm vorgelesen hatte. Vielleicht hatte er zu viel Zeit mit Menschen verbracht, die an falsche Tugenden wie Mut und Selbstaufopferung glaubten, Tugenden, die Durzo ihn zu verachten gelehrt hatte. Vielleicht war er angesteckt worden.
Aber die Frage, warum er hier war, spielte im Grunde keine Rolle. Er tat das Richtige. Er selbst war wertlos. Wenn sein leeres Leben als Lösegeld für Elenes Leben dienen konnte, dann würde er zumindest etwas Gutes bewirkt haben. Es würde die einzige Tat in seinem Leben sein, auf die er stolz sein konnte.
Und wenn er Uly dadurch ebenfalls eine Chance gab, umso besser.
Er würde auch seine eigene Chance haben: seine Chance auf Roth. Kylar war schon in andere Kämpfe voller Zuversicht hineingegangen, aber dies war etwas anderes. Als er in den kurzen Flur zum Thronsaal trat, breitete sich ein Gefühl des Friedens in Kylar aus.
Ein schrilles Jaulen durchschnitt die Luft. Die Männer, die im Raum gestanden und die Tür betrachtet hatten, packten ihre Waffen fester.
Also ein magischer Alarm, der ihnen sagt, dass ich angekommen bin.
Es waren natürlich Hochländer. Das hatte er erwartet. Aber er hatte nicht dreißig von ihnen erwartet. Und da waren auch Hexer. Die hatte er ebenfalls erwartet. Aber nicht fünf.
Die Türen in der Sackgasse, wo er Elene und Uly hochgehoben hatte, sprangen auf, und zehn weitere Hochländer kamen hinter ihm herein.
Mit einigen schnellen Schritten sprang Kylar in den Thronsaal und hoffte, den ersten Angriffen zu entgehen. Der Raum war riesig, und der aus Elfenbein und Horn gefertigte Thron lag am Ende zweier siebenstufiger Treppen - die ein Absatz trennte - über allen anderen Plätzen. Roth saß auf dem Thron, flankiert von zwei Hexern. Die anderen standen auf dem Treppenabsatz. Die Hochländer waren ringsum an den Wänden aufgestellt.
Der Sprung ließ ihn an den sirrenden Schwertern zweier Hochländer vorbeipreschen, die blind auf die Luft vor der Tür einschlugen; sie hofften, dass das Glück auf ihrer Seite war und sie den unsichtbaren Blutjungen trafen.
Kylar zog Vergeltung aus seiner Rückenscheide und rollte sich auf die Füße.
Ein Schwarm winziger Hände erschien in der Luft, während die Hexer ihren Singsang anstimmten. Die Hände suchten nach ihm, zupften an ihm.
Er sprang davon und schlug auf die Hände ein, aber sein Schwert glitt durch sie hindurch, ohne Schaden anzurichten; da war nichts, was er hätte zerschneiden können.
Sie schwärmten über ihn hinweg, und die Hände wurden dicker und kräftiger, während zwei der Hexer gleichzeitig sangen. Dann, als die Hände ihn hochzogen, spürte Kylar, wie noch etwas anderes nach ihm griff. Er kam sich vor wie ein Säugling, den ein Riese zwischen den Fingern hielt.
Er zog an ihm, und Kylar merkte, dass die Tarnung, die er dem Ka’kari verdankte, aufriss. Er ließ sie los - es wäre nicht sehr hilfreich, teilweise unsichtbar zu bleiben, solange er sich nicht bewegen konnte.
Nun, das war wirklich eine Ruhmestat. In der gesamten Geschichte dummer Männer, die absichtlich in für sie errichtete Fallen gingen, war das wahrscheinlich das lahmste Ergebnis überhaupt.
Kylar hatte gehofft - Hölle, er hatte erwartet -, dass er zumindest einige Wachsoldaten mitnehmen würde. Vielleicht einen Hexer. Zwei wären schön gewesen. Durzo hätte angewidert den Kopf geschüttelt.
»Ich wusste, dass Ihr kommen würdet, Blint«, gurrte Roth vom Thron aus. Er sprang auf und gab den Hexern ein Zeichen. Kylar wurde von den Füßen gehoben und schnellte vor, mit Magie die Treppe hinaufgetragen und auf dem Absatz unter dem Thron abgesetzt.
Blint? Götter. Ich bin in eine Falle getappt, die nicht einmal für mich bestimmt war.
Die magischen Finger rissen Kylars Maske weg. »Kylar?«, fragte Roth erstaunt. Dann brach er in Gelächter aus.
»Mein Prinz, seid auf der Hut«, sagte ein rothaariger Hexer rechts von Roth. »Er hat den Ka’kari.«
Roth klatschte in die Hände und lachte abermals, als könne er sein Glück nicht fassen. »Und gerade rechtzeitig! Oh, Kylar, wenn ich ein anderer Mann wäre, würde ich dich beinahe am Leben lassen.«
Die geistreiche Erwiderung trocknete auf Kylars Zunge, als er in Roths Augen blickte. Wenn die meisten seiner ›Leichen‹ einen Becher voll Dunkelheit in ihren Seelen hatten, hatte Roth dort einen Fluss, grenzenlos und trist, eine tosende, verschlingende Dunkelheit mit einer Stimme wie Donner.
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