Der Weg in Die Schatten
so.
Roth zog ein schönes Langschwert aus der Scheide. »Ich bin enttäuscht von dir.«
»Wieso das?«, fragte Kylar, während er sich das Gehirn darüber zermarterte, wie er den Ka’kari benutzen könnte. Was wusste er über ihn? Er befähigte ihn, seine Magie zu benutzen. Er ermöglichte es ihm, durch Schatten zu sehen. Er machte ihn unsichtbar. Er kam aus seiner Haut und verbarg ihn perfekter, als jeder Blutjunge sich verbergen konnte.
Aber wie?
»Ich hatte gehofft, dies würde Spaß machen«, erklärte Roth. »Ich wollte dir sagen, wie schwer du mir das Leben gemacht hast. Aber du bist wie Blint. Es schert dich nicht einmal, ob du lebst oder stirbst.« Roth hob sein Schwert.
»Natürlich schert es mich«, erwiderte Kylar und zeigte Angst. »Inwiefern habe ich Euch das Leben schwergemacht?«
»Tut mir leid. Diese Befriedigung werde ich dir nicht geben.«
Oh, komm schon! »Nicht für mich«, sagte Kylar. »Ihr wisst, dass die Meister und Soldaten Eures Vaters ihm alles berichten werden, was sie gesehen und gehört haben. Warum gebt Ihr ihnen nicht die ganze Geschichte?« Es war unbeholfen, aber da sein Leben an einem seidenen Faden hing, war es schwerer, als er gedacht hätte, geistesgegenwärtig zu handeln.
Roth hielt nachdenklich inne.
Es war nutzlos. Der Ka’kari tat einfach, was er tat. Er hatte in der vergangenen Nacht ein Messer verschlungen , um Gottes willen! Es ließ sich nicht sagen, welche Logik seinem Tun zugrunde lag - falls es überhaupt eine solche Logik gab. Es war einfach Magie.
Absorbiert. Verschlungen. Das ist es, was er tut! Kylar hatte ein gewaltiges Anschwellen von Macht verspürt, nachdem der Ka’kari das Messer absorbiert hatte. Der Verschlinger. Blint hatte ihn den Verschlinger genannt. Vielleicht war er nah dran.
»Tut mir leid«, wiederholte Roth. »Ich gebe für niemanden eine Vorstellung. Nicht einmal für dich. Dies ist eine Angelegenheit nur zwischen uns beiden, Azoth.« Roth reichte sein Schwert dem Hexer zu seiner Linken und strich sich das lange Haar hinter die Ohren...
Nur dass er keine Ohren hatte. Das linke Ohr sah aus, als wäre es weggeschmolzen. Das rechte Ohr war abgeschnitten worden.
Azoth war auf der Bootswerft auf die Knie gestoßen worden. Es war schwierig gewesen, Ratte dazu zu bewegen, in die dunkle Werft zu kommen, aber er hatte es geschafft. Jetzt stand Ratte mit einem Fuß mitten in der Schlinge, die Azoth auf den Boden gelegt hatte, doch Azoth konnte sich nicht bewegen. Er konnte nicht einmal tief durchatmen. Ratte war nur Zentimeter entfernt, beängstigend in seiner Nacktheit, und gab einen Befehl. Er versetzte Azoth einen Hieb. Azoth schmeckte Blut. Dann bewegte er sich. Er packte die Schlinge und zog den Knoten über Rattes Knöchel fest. Ratte schrie und ließ sein Knie vorschnellen, so dass es Azoth im Gesicht traf.
Er landete auf dem großen Stein und schürfte sich den Rücken auf, als er zwischen den Stein und die Öffnung im Boden fiel, wo man früher Boote in das widerwärtige Wasser des Flusses hinabgelassen hatte. Er rappelte sich hoch und stemmte sich mit seinen dünnen Armen gegen den Stein; dann hob er den Blick in der Erwartung, dass der ältere Junge wieder auf ihn losgehen würde.
Ratte schaute Azoth an, schaute die Öffnung an, den Stein, das Seil und seinen Knöchel. Azoth würde den Ausdruck in Rattes Augen niemals vergessen. Es war pures Entsetzen. Dann sprang Ratte los, und Azoth stieß den Stein ins Wasser.
Das Seil spannte sich, und Ratte wurde mitten im Sprung zur Seite gezogen. Er taumelte, streckte die Hände nach Azoth aus und verfehlte ihn. Seine Finger kratzten über den verfaulten Holzboden, während er weiterrutschte und in der Öffnung verschwand. Ein Spritzen war zu hören.
Doch Sekunden später hörte Azoth ihn weinen. Er trat an den Rand der Öffnung.
Ratte hielt sich an den Fingerspitzen fest und bettelte. Es war unmöglich. Dann sah Azoth, dass sein Stein auf einem der gitterartigen Stützbalken gelandet war, die die Werft auf dem Fluss hielten. Er lag dort, als wolle er im nächsten Augenblick abrutschen und versinken, aber solange Ratte das Seil unter Spannung hielt, würde es ihn nicht in die Tiefe ziehen.
Azoth ging zu dem Haufen von Rattes Kleidung und fand seinen Dolch. Ratte flehte, und Tränen rannen ihm über die pickligen Wangen, aber Azoth hörte nur das Tosen des Blutes in seinen Ohren. Er hockte sich vor Ratte hin, vorsichtig, aber furchtlos. Rattes Arme zitterten bereits unter seinem
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