Der Weg in Die Schatten
undeutlich machte. Kylar starrte verwirrt auf die toten Hexer. Wer hat mich hochgehoben?
»Alle Edelinge des Gottkönigs Ursuul sind Hexergeborene«, erklärte Roth. »Wusstest du das nicht?«
Kylar sah Roth verständnislos an. Roth verfügte über Magie? Die unsichtbaren Hände ließen ihn los, und er klappte zusammen, als er sein Gewicht auf sein zerstörtes linkes Bein verlagerte. Wieder schlug er auf den Marmorboden.
»Steh auf!«, sagte Roth. Er stach sein Schwert in seine Lenden und verfluchte ihn. Kylar ließ den Kopf auf den Marmor fallen, während Roths Schreie undeutlich wurden. Das Geräusch von Roths Stimme verblasste zu einem Murmeln neben dem Tosen des Schmerzes.
Der Schmerz schoss wie ein heißer Strahl durch seinen Bauch, als Roth abermals zustach. Dann musste er Kylar wieder hochgehoben haben, denn Kylar spürte, wie sein Kopf zur Seite kippte. Wenn er vorher Schmerz gefühlt hatte, wurde dieser jetzt zur Qual.
Jeder Teil seines Körpers wurde von Feuer versengt, in Alkohol
getaucht, in Salz gepackt. Seine Lider waren gesäumt von Glassplittern. An seinen Sehnerven kauten kleine Zähne. Jedes Gewebe, jede Sehne, jeder Muskel und jedes Organ schrie vor Qual. Aber sein Verstand wurde klar.
Kylar blinzelte. Er stand vor Roth, und er war bei Sinnen. Bei Sinnen und entsetzt. Sein linkes Knie war zerschmettert, und außerdem blutete er innerlich - Magensäure verätzte seine Eingeweide, ließ langsamen Tod in seine Gedärme sickern, und aus einer Niere quoll schwarzes Blut. Seine linke Schulter sah aus, als hätte sie der Hammer eines Riesen geküsst.
»Du wirst keinen leichten Tod sterben«, sagte Roth. »Ich werde es nicht zulassen. Nicht nach dem, was du getan hast. Sieh nur, was du getan hast! Mein Vater wird außer sich sein vor Wut.«
Da war es. Er starb. Kylar konnte sich unsicher auf sein unversehrtes Bein hocken, aber er hatte keine Waffen. Sein Schwert und der Ka’kari lagen zehn Schritte entfernt - sie hätten sich geradeso gut auf der anderen Seite des Ozeans befinden können. Keine Waffen, und Roth gab - selbst jetzt noch - sorgsam acht, nicht in die Reichweite seiner Hände zu kommen. Kylar hatte nicht einmal ein Gürtelmesser.
»Bist du bereit zu sterben?«, fragte Roth, dessen Augen boshaft glitzerten.
Kylar starrte auf seine rechte Hand. Trotz all der zerschundenen, zerschnittenen Stellen seines Körpers waren seine Finger gesund, perfekt und geheilt. War das nicht die Hand, die er sich in der vergangenen Nacht am Fenster aufgeschnitten hatte? »Ich bin bereit«, sagte er zu seiner eigenen Überraschung.
»Gibt es irgendetwas, das du bedauerst?«, fragte Roth.
Kylar schaute in Roth hinein und verstand ihn. Kylar selbst hatte immer genug Dunkelheit in seiner Seele gehabt, um böse
Menschen zu verstehen. Roth versuchte, ihn zu quälen. Roth wollte ihn töten, während er an all die Dinge dachte, die er nicht getan hatte. Roth erntete Verzweiflung. »Gut zu sterben ist einfach«, stellte Kylar fest, »es kostet nur einen Augenblick Mut. Gut zu leben ist es, wozu ich nicht imstande war. Was ist der Tod, verglichen damit?«
»Du wirst es gleich herausfinden«, zischte Roth.
Kylar feixte, dann lächelte er, als Zorn in Roth aufstieg.
»Logan zu töten hat mehr Spaß gemacht«, sagte Roth. Dann rammte er Kylar sein Schwert in die Brust.
Logan! Der Gedanke verletzte Kylar grausamer als das Schwert in Roths Hand. Kylar hatte für das Schwert gelebt. Durch das Schwert zu sterben war weder unerwartet noch ungerecht. Aber Logan hatte niemals irgendjemanden verletzen wollen. Dass Roth Logan getötet hatte, war nicht recht. Es war nicht fair. Es war nicht richtig.
Kylar starrte auf den Stahl in seiner Brust. Dann ergriff er Roths Hand und zog, zog sich an dem Schwert empor, spießte sich bis zum Griff auf. Roths Augen weiteten sich.
»Ich bin der Nachtengel«, erklärte Kylar ächzend. »Dies ist Gerechtigkeit. Dies ist für Logan.«
Es folgte ein Klirren und das Geräusch von Metall, das über den Marmor rollte. Der Ka’kari sprang auf Kylars Hand zu...
Und wurde von Roth in der Luft gefangen. Triumph leuchtete in seinen Augen auf. Er lachte.
Aber Kylar packte Roth an den Schultern und sah ihm in die Augen. »Ich bin der Nachtengel«, wiederholte er. »Dies ist Gerechtigkeit. Dies ist für Logan.« Kylar hob die rechte Hand.
Roth wirkte verwirrt. Dann blickte er auf seine linke Hand. Der Ka’kari verwandelte sich in Flüssigkeit und glitt ihm durch
die Finger. Seine Hände
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