Der Weg in Die Schatten
errötete. »Ich schwöre, ich hatte keinen Anteil daran. Ich dachte, ich hätte den einzigen Schlüssel.«
»Was hat die Königin gesagt?«, fragte Solon.
Wendel blinzelte. Wie Solon erraten hatte, wusste Wendel Bescheid, wollte Solon jedoch nicht wissen lassen, wie ausgedehnt
sein Netzwerk von Augen und Ohren war. Nach einem Moment des Zögerns antwortete der Haushofmeister: »Die Angelegenheit hätte recht einfach erledigt werden können, aber der König erlaubt der Königin nicht, irgendwelche Entscheidungen ohne ihn zu treffen. Er unterbrach die beiden, während sie miteinander sprachen. Er sagte, dass er die Angelegenheit mit seinen Ratgebern erörtern wolle. Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was das bedeutet.«
»Ich fürchte, ich weiß es«, sagte Solon.
»Was?«, fragte Logan.
»Wer ist der Anwalt Eurer Familie?«
»Ich habe Euch zuerst gefragt«, protestierte Logan.
»Junge!«
»Graf Rimbold Drake«, antwortete Logan und schmollte ein wenig.
»Es bedeutet, dass wir mit Graf Drake sprechen müssen. Sofort.«
»Muss ich die Schuhe tragen?«, fragte Azoth. Er mochte Schuhe nicht. Man konnte den Boden nicht spüren, um festzustellen, wie glatt er war, und außerdem zwickten sie.
»Nein, wenn wir Graf Drake aufsuchen, wirst du die Roben eines Edelmanns tragen und barfuß sein«, erwiderte Durzo.
»Wirklich?«
»Nein.«
All die vielen Male, da Azoth die Söhne der Händler und Lords auf den Märkten beneidet hatte, hatte er niemals darüber nachgedacht, wie unbequem ihre Kleider waren. Aber Durzo war jetzt sein Meister, und er war bereits ungeduldig, weil Azoth so lange brauchte, um sich fertig zu machen, daher hielt Azoth den Mund. Er war noch nicht lange Durzos Lehrling, und er
machte sich noch immer Sorgen, dass der Blutjunge ihn hinauswerfen würde.
Sie gingen über die Vanden-Brücke ans Ostufer. Für Azoth war es eine Offenbarung. Er hatte noch nie auch nur versucht, die Vanden-Brücke zu überqueren, und den Gilderatten nicht geglaubt, die behaupteten, an den Wachen vorbeigekommen zu sein. Am Ostufer des Flusses gab es keine verfallenen oder verlassenen Gebäude. Auf den Straßen gab es keine Bettler. Es roch anders, fremdartig, seltsam. Azoth konnte den Mist von Viehhöfen nicht ausmachen. Selbst die Rinnsteine waren anders. Es gab nur einen einzigen in jeder dritten Straße und keinen in den größeren Straßen. Die Leute kippten Urin und Müll nicht einfach aus dem Fenster, wo alles liegen blieb, bis es allmählich von selbst davonfloss. Hier trugen sie den Dreck in die dritte Straße und kippten ihn dort aus. Er floss dann steinerne Kanäle in den gepflasterten Straßen hinab, so dass man selbst diese Straßen gefahrlos benutzen konnte. Am erschreckendsten war jedoch der Umstand, dass die Menschen falsch rochen. Männer rochen nicht nach Schweiß und ihrer Arbeit. Wenn eine Frau vorbeiging, duftete sie nur schwach nach Parfüm, statt einen überwältigenden Geruch zu verströmen, in dem sich der schale Gestank von Schweiß und Sex mischte. Als Azoth Blint danach fragte, antwortete der Blutjunge nur: »Mit dir werde ich eine Menge Arbeit haben, hm?«
Sie kamen an einem breiten Gebäude vorbei, aus dem Dampf wogte. Glänzende, perfekt frisierte Männer und Frauen traten heraus. Azoth fragte nicht einmal. »Es ist ein Badehaus«, erklärte Blint. »Noch etwas, das wir aus Ceura übernommen haben. Der einzige Unterschied ist der, dass hier Männer und Frauen getrennt baden, wobei Momma Ks Badehaus natürlich eine Ausnahme darstellt.«
Die Besitzerin des Beschwipsten Flittchens begrüßte Blint als Master Tulii. Er antwortete ihr mit Akzent auf gelangweilterschöpfte Art und befahl, seine Kutsche vorzufahren.
Sobald sie unterwegs waren, fragte Azoth: »Wo fahren wir hin? Wer ist Graf Drake?«
»Er ist ein alter Freund, ein Adliger, der für seinen Lebensunterhalt arbeiten muss. Er ist Rechtsanwalt.« Als Azoth verwirrt dreinblickte, fuhr Master Blint fort: »Ein Rechtsanwalt ist ein Mann, der schlimmere Dinge innerhalb des Gesetzes tut als die meisten Betrüger außerhalb des Gesetzes. Aber er ist ein guter Mann. Er wird mir helfen, dich zu einem brauchbaren Menschen zu machen.«
»Meister?«, fragte Azoth. »Wie geht es Puppenmädchen?«
»Sie ist nicht länger dein Problem. Du wirst nicht noch einmal nach ihr fragen.« Eine Minute verstrich, während die Straßen vorbeizogen. Schließlich sagte Durzo: »Sie ist in schlechter Verfassung, aber sie wird überleben.«
Dann schwieg
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