Der Weg in Die Schatten
während ich fort bin.«
»Ich werde nicht weinen«, schwor Azoth.
»Klar. Schlaf jetzt.«
»Leben ist leer. Wenn wir ein Leben nehmen, nehmen wir nichts von Wert. Blutjungen sind Auftragsmörder. Das ist alles, was wir tun. Das ist alles, was wir sind. Es gibt keine Poeten in dem bitteren Geschäft«, erklärte Blint.
Er musste fortgegangen sein, während Azoth geschlafen hatte, denn jetzt hielt Azoth ein Schwert, das klein genug für einen Elfjährigen war, in der Faust und fühlte sich unbeholfen.
»Jetzt greif mich an«, verlangte Blint.
»Was?«
Die Seite von Blints Schwert krachte gegen Azoths Kopf.
»Ich befehle. Du gehorchst. Kein Zögern. Verstanden?«
»Ja, Herr.« Azoth rappelte sich hoch und griff nach dem Schwert. Er rieb sich den Kopf.
»Angreifen«, befahl Blint.
Azoth tat es und tat es wild. Blint wehrte seine Schläge ab und trat zur Seite, so dass Azoth von der Wucht seiner eigenen Schläge niedergerissen wurde. Und die ganze Zeit über sprach Blint.
»Du machst nicht Kunst, du machst Leichen. Tot ist tot.« Er parierte schnell, und Azoths Klinge schlitterte über den Boden. »Schnapp es dir.« Blint ging hinter Azoth her und verstrickte ihn von neuem in einen Kampf. »Spiel nicht mit deinen Opfern. Strebe nicht nach der Schönheit des Tötens mit nur einem einzigen Schlag. Versetz deinem Opfer zwanzig Stiche, und lass es bluten, bis es zusammenbricht - dann gibst du ihm den Rest.
Mach es nicht schön. Du machst nicht Kunst, du machst Leichen.«
Und so gingen die Lektionen weiter, körperliche Aktion mit einem ständig laufenden Monolog; jede Lektion wurde zusammengefasst, demonstriert und wieder zusammengefasst.
Im Arbeitszimmer: »Koste niemals Tod. Jede Phiole, jeder Krug hier drin ist Tod. Wenn du mit Tod arbeitest, wirst du Pulver, Pasten und Salben an die Hände bekommen. Leck niemals den Tod an deinen Fingern ab. Berühre niemals deine Augen mit Tod. Du wirst dir die Hände mit diesem Alkohol waschen und dann mit diesem Wasser, immer in diesem Becken, das ich für nichts anderes benutze und das nur dort ausgeleert wird, wo ich es dir zeige. Koste niemals Tod.«
Auf der Straße: »Umarme die Schatten... atme die Stille ein... sei gewöhnlich, sei unsichtbar... bleib an deinem Mann... wisse immer...«
Wenn er Fehler machte, schrie Blint ihn nicht an. Wenn Azoth einen Schlag nicht korrekt abwehrte, merkte er das daran, dass das hölzerne Trainingsschwert hart auf sein Schienbein traf. Wenn er die Lektionen des Tages nicht aufsagen und auf alle Fragen antworten konnte, bekam er eine Maulschelle für jede Antwort, die er schuldig blieb.
Es war alles fair. Es war alles gerecht, aber Azoth entspannte sich niemals. Wenn er zu oft versagte, würde Master Blint ihn vielleicht mit der gleichen Leidenschaftslosigkeit, mit der er ihm Maulschellen versetzte, auch töten. Azoth würde nicht wissen, dass er versagt hatte, bis er dem Tod ins Gesicht sah.
Mehr als einmal wollte er alles hinwerfen. Aber das war unmöglich. Mehr als einmal wollte er Blint töten. Doch der Versuch würde den Tod bedeuten. Mehr als einmal wollte er weinen. Aber er hatte geschworen, es nicht zu tun - und er tat es nicht.
»Momma K, wer ist Vonda?«, fragte Azoth. Nach seinem Leseunterricht trank sie eine Tasse Ootai, bevor sie mit Politik, Geschichte und höfischer Etikette anfingen. Nachdem er den ganzen Morgen mit Blint trainiert hatte, studierte er während des Nachmittags bei ihr. Er war ständig erschöpft, und die Glieder taten ihm weh, aber er schlief immer die ganze Nacht hindurch und erwachte gewärmt und ohne zu zittern. Die nagende Stimme und die entkräftende Schwäche des Hungers waren nur noch eine Erinnerung.
Er beklagte sich niemals. Wenn er es tat, würden sie ihn vielleicht zurückschicken.
Momma K antwortete nicht sofort. »Das ist eine sehr heikle Frage.«
»Heißt das, dass Ihr es mir nicht sagen werdet?«
»Es heißt, dass ich es dir nicht sagen will. Aber ich werde es tun, weil du es vielleicht wissen musst und weil der Mann, der es dir sagen sollte, es nicht tun wird.« Sie schloss für einen Moment die Augen, und als sie weitersprach, klang ihre Stimme tonlos. »Vonda war Durzos Geliebte. Durzo hatte einen Schatz und der Gottkönig Khalidors wollte ihn haben. Du erinnerst dich daran, was ich dich über Khalidor gelehrt habe?«
Azoth nickte.
Momma K öffnete die Augen und hob die Brauen.
Er verzog das Gesicht, dann begann er das Gelernte aufzusagen. »Khalidor ist unser
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