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Der Weg in Die Schatten

Titel: Der Weg in Die Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Weeks
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das man ihm um den Knöchel gebunden hatte.
    Die Gräfin deutete sein Zittern und seine Übelkeit, nachdem sie mit den Geschichten fertig war, stets als ein Bedürfnis nach mehr Ruhe, also verließ sie, nachdem sie in Kylar quälende Erinnerungen geweckt hatte, den Raum und ließ ihn mit den wütenden Geistern zurück.
    Jede Nacht wurde Kylar zu Azoth. Jede Nacht kehrte Azoth zu der Reparaturwerft zurück und sah Ratte auf sich zukommen, nackt, behaart, massig, mit Augen, die vor Begierde glänzten. Jede Nacht beobachtete Azoth Ratte, wie er ins Wasser platschte und sich gegen das an seinem Knöchel befestigte Gewicht stemmte. Jede Nacht beobachtete er, wie Ratte Puppenmädchen das Gesicht zerschnitt.

    Die Albträume weckten ihn, und er lag dann im Bett und kämpfte gegen die Erinnerungen an. Azoth war schwach gewesen, aber Azoth existierte nicht länger. Kylar war stark. Kylar hatte gehandelt. Kylar würde sein wie Master Blint. Er würde niemals Angst haben. Es war jetzt besser. Es war besser, in einem Bett zu liegen und Albträume zu haben, als zu lauschen, wie Jarl weinend vergewaltigt wurde.
    Wenn er wieder einschlief, bewegte er sich nur von einem Albtraum in den nächsten. Der Tag brachte wenig Erleichterung, und die Erinnerungen verblassten nur langsam. Jeden Morgen sagte er sich, dass er getan hatte, was er tun musste, dass er Ratte hatte töten müssen, dass er Puppenmädchen hatte im Stich lassen müssen, dass er Jarl hatte zurücklassen müssen, dass es das Beste war, sie nie wiederzusehen, dass er nicht hatte wissen können, was Puppenmädchen zustoßen würde. Er sagte sich, dass Leben leer war, dass er nichts Wertvolles nahm, wenn er ein Leben nahm.
    Ohne Logan Gyres Besuche hätte er es nicht geschafft. Einen über den anderen Tag kam Logan zu ihm, meistens begleitet von Serah Drake. Zuerst dachte Kylar, er komme deshalb, weil er sich noch immer schuldig fühlte, aber das verging bald. Sie genossen beide ihr Zusammensein, und sie wurden gute Freunde. Logan war seltsam: Er war so klug wie Jarl, und er hatte Hunderte von Büchern gelesen. Kylar glaubte nicht, dass er im Labyrinth auch nur eine Woche überlebt hätte, aber gleichzeitig sprach er über höfische Politik, als sei sie etwas ganz Einfaches. Er kannte die Namen, die Geschichte, die Freunde und die Feinde Dutzender von Höflingen, und er wusste Bescheid über die wesentlichen Ereignisse im Leben jedes hochrangigen Adligen im Königreich. Die halbe Zeit war Kylar sich nicht im Klaren darüber, ob er Logans Ausführungen deshalb nicht verstand, weil das alles Teil des
höfischen Lebens war, das er nie gekannt hatte, oder einfach weil Logan gern große Worte benutzte. Eloquent nannte er sich selbst.
    Nichtsdestoweniger funktionierte ihre Freundschaft, und Serah Drake trug dazu bei, indem sie häufig zufällig vorbeikam, um mit Logan zusammen sein zu können. Sie füllte die Gesprächspausen aus. Kylar konnte die Male nicht zählen, da er still dagesessen hatte, weil er irgendeine von Logans Anspielungen nicht verstanden hatte. Die Stille zog sich dann in die Länge, aber bevor Logan ihn jemals fragen konnte, warum er etwas nicht verstand, wurde Serah unruhig und begann unvermittelt von etwas ganz anderem zu reden. Das Geplapper hätte Kylar vielleicht wahnsinnig gemacht, wäre er nicht so dankbar dafür gewesen. Wie dem auch sei, vielleicht waren alle adligen Mädchen so.
    Eines Morgens saß Kylar im Bett, nachdem er wieder eine Nacht unter den Decken gekauert hatte. Er hatte geträumt, dass er derjenige gewesen war, der Puppenmädchen geschlagen hatte, dass es seine Füße waren, die sie traten, und dass in seinen Augen Jubel stand, während ihre Schönheit unter der Hitze seines Zorns dahinschmolz.
    Graf Drake kam herein. Seine Finger waren von Tinte beschmiert, und er wirkte müde. Er zog sich einen Stuhl dicht ans Bett.
    »Wir denken, dass die Gefahr vorüber ist«, sagte er.
    »Wie bitte?«, fragte Kylar.
    »Es tut mir leid, dass wir dich im Dunkeln lassen mussten, Kylar, aber wir mussten sicherstellen, dass du nichts Übereiltes tust. Während der vergangenen Wochen hat es eine Anzahl von Anschlägen auf deinen Meister gegeben. Infolgedessen gibt es jetzt vier Blutjungen weniger in der Stadt. Nach drei Mordversuchen hat dein Meister den König wissen lassen, dass Aleine als Nächster sterben würde, sollte es weitere Anschläge geben.«
    »Master Blint hat den König getötet?«, fragte Kylar.
    »Scht! Sprich diesen Namen nicht aus. Nicht

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