Der Weg in die Verbannung
ungegerbte Leder war steif, aber doch verwendbar.
Sobald es Harka wieder besser ging, fühlte er sich mit dem Vater zusammen sehr glücklich. Das Bewußtsein, eine große Gefahr überstanden zu haben, setzte sich bei ihm in Fröhlichkeit um, und er fühlte sich bei dem Vater sicher geborgen. Hin und wieder ließ sich der Adler noch hoch oben in den Lüften blicken.
»Als ich auf Jagd unterwegs war«, sagte Mattotaupa, »habe ich beobachtet, wo er seinen Horst hat. Er ist zu frech. Wir müssen ihn erlegen, wenn wir Ruhe haben wollen. Aber es eilt nicht. Werde du erst wieder gesund und kräftig.«
Die Aussicht auf die Adlerjagd trug viel dazu bei, daß Harka sich verhältnismäßig schnell erholte, nachdem er die ersten schweren Tage überstanden hatte. Aber Mattotaupa wartete geduldig, bis Harkas Wunden vernarbt waren und er seine volle Leistungsfähigkeit wiedergefunden hatte. Dann erst begann er die Adlerjagd vorzubereiten.
»Es gibt verschiedene Wege, diesen Adler zu erbeuten«, sagte er eines Abends zu dem Jungen. »Du könntest mit deinem Mazzawaken ( indianisches Wort für Gewehr ) nach dem Raubvogel schießen. Aber damit vertust du eines deiner wenigen Geschosse, ohne daß es unbedingt nötig ist. Wir können auch nicht wissen, ob du auf eine so große Entfernung hin triffst, denn du bist nicht an die Waffe gewöhnt. Du hast sie nur eben zu gebrauchen gelernt. Endlich aber ist das Krachen eines Schusses weithin zu hören. Es scheinen bis jetzt keine Menschen in unsere Nähe gekommen zu sein, weder Feinde noch Brüder. Wir haben kein Feuer gemacht, niemand kann Rauch riechen und uns dadurch entdecken. Niemand wird uns finden, der nicht zufällig in unsere Nähe kommt und Spuren sieht.«
»Wie wollen wir den Adler jagen, Vater?«
»Wenn er tiefer herabkäme, könnte ich von hier aus mit dem Pfeil nach ihm schießen. Aber er hält sich jetzt immer sehr hoch. Ich bin dafür, daß wir seinen Horst beschleichen und ihn töten, wenn er im Horst sitzt, von dort auffliegt oder dorthin zurückkehrt.«
»Du hast den Horst schon entdeckt, sagst du. Wo ist er? Können wir nahe herankommen?«
»Nein, wir können nicht ganz nahe herankommen, fürchte ich. Dieser Adler hat seinen Horst nicht auf einem Baum, sondern auf einer vorspringenden Felsplatte, die schwer zu erreichen ist. Ich schlage vor, daß wir Lasso und Bogen und Pfeil mitnehmen, außerdem den Speer.«
»Und mein Mazzawaken.«
»Das ist deine Sache.«
»Wann brechen wir auf, Vater?«
»Morgen früh. Wir wollen unsere Pferde mitnehmen, denn wir können ein großes Stück Weges reiten und dadurch Zeit sparen.«
Harka war einverstanden. Nach des Vaters Anweisung packte er Proviant für fünf Tage zusammen. Die beiden wollten sich unterwegs nicht aufhalten, sondern das Essen zur Hand haben.
Als der Morgen graute, holten sich die Indianer ihre Pferde, bepackten sie mit Decken und Proviant und führten sie den Felspfad entlang, bis die schwierigsten Stellen überwunden waren. Dann stiegen sie auf und freuten sich, in den Morgen hineinzureiten. Auch die Pferde waren froh, wieder einmal ungehindert große Strecken laufen zu können. Sie hatten ausgeruht; an dem kräftigen Berggras hatten sie sich ganz satt gefressen, und so waren sie voller Unternehmungslust. Mattotaupa führte, durch Täler, über Hänge, durch Wälder, über Geröll. Auch Harka freute sich, wieder einmal reiten zu können und etwas anderes zu sehen als das kleine Tal hoch oben, das eine Zuflucht war, aber auch wie ein Gefängnis auf die Stimmung wirken konnte.
Gegen Abend erreichten die beiden Reiter eine Höhe, von der aus Mattotaupa bei seinem Jagdzug den Adlerhorst entdeckt hatte. Mattotaupa und Harka saßen ab, banden die Mustangs mit Hilfe des Lassos an einen Baum an und stiegen zu dem felsigen Gipfel hinauf, der einen guten Rundblick versprach. Als sie nach einer Stunde oben ankamen, dämmerte es schon, und die Gebirgswelt bot sich den Augen im köstlichen und vielfältigen Schimmer der scheidenden Sonne. Harka schaute rundumher, und seine Augen fanden rasch den Horst, ohne daß der Vater ihn ihm zu zeigen brauchte.
Der Raubvogel hatte sich eine von unten her sehr schwer zugängliche vorspringende Felsplatte als Ruheplatz gewählt. Der Berg, an dem sich der Horst befand, war nicht besonders hoch, nicht einmal so hoch wie der Gipfel, auf dem die beiden Indianer jetzt standen. Aber er war stark zerklüftet, und an einem seiner Felstürme sprang nach Osten zu die Platte vor, die sich
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