Der Weg in die Verbannung
Sehne deines Bogens surren hören. Vorher aber klang es, als ob Fleisch zerrissen würde!«
»Komm, Harka erst einmal ohne die Pferde. Wir können sie ruhig einen Augenblick allein lassen. Ich will dir etwas zeigen!«
Rasch gingen die beiden den Felspfad entlang, Harka als erster. Als sich der Blick zu Quelle und Tal öffnete, blieb der Junge verblüfft stehen. Auf dem Felsblock, unter dem die Quelle entsprang, saß der Adler. Er hatte Fleisch in den Klauen, an dem er noch vor kurzem gefressen haben mußte. In seinem linken Flügel steckte Mattotaupas Pfeil. Auf der Wiese, bei der Grube, waren die Grasplatten, mit denen die beiden Indianer ihre eingegrabenen Vorräte gedeckt hatten, aufgerissen und zerhackt. Fleischreste und Knochen waren umhergestreut. Hier hatte der Adler gehaust, während Mattotaupa und Harka ihn im Horst suchten! Nun mußte auch der Junge lächeln. Das flügellahme Tier dehnte die rechte Schwinge und streckte den Schnabel gegen seine Feinde.
»Er kann nicht mehr, wie er will«, sagte Mattotaupa, »dieser Räuber. Geh, Harka, hole die Pferde!«
Der Junge lief zurück und holte die Mustangs, die sich an die schwierigen Tritte des Felspfades, den sie nun zum drittenmal gingen, schon gewöhnt hatten und leicht führen ließen. Als der Junge wieder in das Tal hineinschauen konnte, saß der Adler immer noch, mit hängendem linken Flügel, auf dem Felsblock und streckte jetzt wieder Kopf und Schnabel drohend gegen Harka. Mattotaupa hatte das Tier offenbar in Ruhe gelassen; er war damit beschäftigt festzustellen, was von den Vorräten noch übrig war. Der Schaden war nicht so groß, wie es im ersten Augenblick geschienen hatte. Nur eines der obersten Fleischpakete war geöffnet, sein Inhalt vertilgt oder zerstreut. Harka brachte die kleine Vorratskammer wieder in Ordnung. Die Pferde äugten böse nach dem Adler, hielten sich aber abseits von ihm.
Die beiden Indianer nahmen ein Frühstück ein. Dabei schaute Harka immer wieder aus den Augenwinkeln nach seinem gefiederten Feind.
»Ein schöner Bursche!« sagte Mattotaupa.
»Gefräßig«, meinte Harka.
Als die Indianer gegessen hatten, legten sie sich nebeneinander ins Gras und beobachteten den Adler. Das Tier versuchte, den Pfeil aus seinem Flügel zu ziehen.
»Wie ein verwundeter Krieger«, bemerkte Harka schließlich. »Aber du hast schlecht getroffen, mein Vater!«
»Meinst du? Ich hätte mit dem Schuß warten können, bis der Adler auffliegt, und ihn dann erlegen. Aber so ist es auch gut. Er war ebenso überrascht wie ich.«
Es war unterhaltsam, dem Adler zuzusehen. Er benahm sich gar nicht ungeschickt. Der Pfeil steckte im Flügelgelenk. Das Tier, das ihn nicht gleich hatte entfernen können, untersuchte jetzt mit dem Schnabel genau die Stelle, an der die Spitze eingedrungen war und festhing. Der Pfeil hatte als Jagdpfeil keine Widerhaken.
Der Adler ließ von dem Pfeil ab, ließ auch das Fleisch aus den Klauen, rückte es aber mit dem Schnabel so zurecht, daß es nicht von dem Felsblock herunterfallen konnte. Dann lief der Raubvogel auf dem Block umher und versuchte, beide Schwingen zu heben. Es gelang ihm aber nur mit der rechten. Nach dem vergeblichen Versuch aufzufliegen, ruhte er sich aus und begann von neuem, mit dem Schnabel an dem Pfeil zu arbeiten.
»Klug ist er«, sagte Harka.
Der Grauschimmel näherte sich der Quelle. Der Adler streckte wieder den Schnabel vor, aber der Mustang ließ sich nicht stören, sondern soff in Ruhe und trollte sich dann wieder, um zu weiden. Der Adler arbeitete wieder an dem Pfeil. Endlich gelang es ihm, die Spitze herauszuziehen. Der Pfeil fiel ins feuchte Gras. Harka sprang hin und holte ihn.
Als er wieder bei seinem Vater saß, saß auch der Adler auf seinem Stein, ruhig wie ein Bild. Das Fleisch hielt er zwischen den Fängen. Den einen Flügel hatte er zusammengelegt, die verwundete Schwinge hing herab.
»Er dachte, du wolltest ihm das Fleisch wegnehmen«, erklärte Mattotaupa.
Die beiden Indianer und der große Vogel hatten Geduld. Sie beobachteten einander den ganzen Tag. Harka studierte die schöne Zeichnung der Federn.
Gegen Abend begann der Adler wieder, an seinem verwundeten Flügel zu arbeiten. Er strich immer und immer wieder mit dem Schnabel über die verwundete Stelle. »Sieh dir das an, Harka. Er will seinen Flügel einrenken und heilen.«
»Vielleicht. Aber es dauert lange.« In der Nacht schliefen die beiden Indianer ruhig. Sie verließen sich auf die Wachsamkeit ihrer
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