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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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wirklich nicht!«
    »Ich kann es.«
    Bill ließ sich auf sein breites Gesäß in den Sand plumpsen.
    »Du kannst … Weißt du, dein Verstand ist verwirrt. Deshalb habe ich Mitleid mit dir. Ich will mal eine Probe machen, wie das wirkt, wenn man euch fünfzig Patronen in die Hand gibt! Schlimmstenfalls haben wir ja noch unsere Pistolen schußbereit!« Er zog die seine und legte die Patronengurte vor sich hin.
    Harka holte die Munition.
    Mattotaupa machte eine zustimmende Kopfbewegung und saß auf; auch Harka schwang sich auf seinen Grauschimmel. Die sieben Weißen, die noch laufen konnten, und der Indianer mit dem Halstuch fanden sich bei den Berittenen ein. Die fünf Verletzten, die nicht folgen konnten, schrien verzweifelt auf und baten flehentlich, daß man sie mitnehme.
    »Ruhe! Wir kommen zurück und holen euch!« brüllte Bill sie an, als er sah, daß die indianischen Führer noch zögerten. Aber die Zurückbleibenden beruhigten sich nicht bei diesem Trost.
    »Nie kommt ihr zurück! Ihr Schweine, ihr Verräter, ihr gemeinen … ihr … ihr … krepieren sollen wir! ­ Laßt uns doch nicht im Stich, Freunde, Brüder, Kameraden, bitte … das …«
    Harka konnte nicht alles verstehen, aber aus dem Tonfall ahnte er, was hier gesagt wurde. Er kannte diese Männer nicht, die einem erbärmlichen Tod ausgeliefert werden sollten, aber er verachtete aufs tiefste diejenigen, die ihre Gefährten im Stich ließen.
    Einer der Zurückbleibenden, der schwer verletzt war, zog seinen Revolver und erschoß sich selbst; er hatte an die Schläfe angelegt und war sofort tot.
    »Das bleibt euch allen als Ausweg!« sagte Bill brutal. »Aber im übrigen ­ wir kommen zurück. Ihr braucht die Hoffnung nicht aufzugeben.« Er machte sich auf den mühsamen Marsch. »Vorwärts!« herrschte er Mattotaupa an.
    Der Indianer mit dem bunten Halstuch hatte sich bis dahin den Vorgängen gegenüber völlig gleichgültig gezeigt. Jetzt sagte er leise zu Bill und gleich darauf zu Mattotaupa in der Sprache der Dakota: »Aufpassen. Sie werden nach uns schießen.«
    Das war das Signal zum Mord. Sechs Mann legten an und töteten mit einer Salve ihre verletzten Gefährten.
    Das sind weiße Männer, dachte Harka. Niemals will ich bei solchen Männern leben. Für fünfzig Patronen muß ich helfen, die Mörder zu Wasser und Nahrung zu führen. Ich würde sie lieber im Sande sterben lassen, aber Mattotaupa hat gesprochen, und so wird es geschehen. Denn wir lügen nicht.
    Harka beobachtete, wie der indianische Begleiter der Weißen sich die Revolver der Toten holte und diese Waffen samt dazugehöriger Munition in einem Sack verstaute, den er bei einem der Erschossenen fand. Der Knabe wandte sich mit Ekel ab. Der Marsch begann.
    Die Sonne schien herbstlich milde, aber der Weg war so mühsam, und es mußten so viele Schleifen und Windungen gemacht werden, um die tiefen Verwehungen zu umgehen, daß die Strecke endlos erschien. Die weißen Männer, die alle schweigsam geworden waren, torkelten am Abend vor Erschöpfung. Durstig und hungrig schliefen sie ein. Mattotaupa und Harka vermieden es, ihre Vorräte sehen zu lassen. Erst weit nach Mitternacht, als alle in tiefem Schlaf lagen, aßen sie etwas. Teilen konnten sie nicht, denn sie hatten wenig bei sich und niemand wußte, wie weit der tödliche Sand sich ausgebreitet hatte.
    Nach der vollkommenen Windstille des ersten Tages nach dem Sturm begann es am nächsten Morgen wieder zu wehen. Leichte Sandwolken wurden aufgewirbelt. Sie erschwerten die Sicht und damit die Orientierung und das Vorwärtskommen. Zeitweise wurde es unmöglich, den Sonnenstand zu erkennen und damit die Himmelsrichtung festzustellen, in der man sich bewegte. Der Sand drang in die Augen und behinderte die Atmung. Trübselig stapften die Pferde und hinter ihnen die Männer durch die Wellentäler der Sandwüste. Da kein gerader Weg eingehalten werden konnte, war die Gefahr, jede Richtung zu verlieren, sehr groß. Bill brabbelte einige Zeit Flüche vor sich hin. Endlich machte ihn der Indianer mit dem Halstuch darauf aufmerksam, daß er seinen Atem unnütz verschwende und sich selbst noch mehr Durst verursache als nötig. Da verstummte der geschwätzige Prahlhans.
    Als es zum zweitenmal Abend wurde und noch kein Ende des erbarmungslosen Sandes abzusehen schien, begann der Streit. Einige wollten rasten, andere weiterlaufen. Zwei schalten, daß die Indianer hinterlistige Banditen seien und sie falsch geführt hätten. Bill grollte vor sich hin,

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