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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Kräfte noch einmal anspornte. Der Wind wehte immer noch und wirbelte Sand umher, und nach drei Stunden weiteren mühseligen Laufens begann die Verzweiflung zu wüten. Die Männer blieben stehen.
    »Falsch laufen wir!«
    »Im Kreis laufen wir!«
    »Hundsfötter! Verlauste Rothäute!«
    »Laßt uns doch umkehren!«
    »Hinlegen bis zum Morgen!«
    Ich würde sie in ihr Verderben rennen lassen, dachte Harka wieder. Das haben sie verdient. Aber Mattotaupa hat versprochen, sie zu führen, und ein Dakota lügt nicht.
    »Lauft weiter, oder ich schieße euch alle nieder!« sagte Tobias so gleichmütig, als ob er ein Glas Bier bestelle.
    Mit grauenvollen Flüchen tappten und torkelten die Männer weiter. Die Indianer rechneten damit, daß der Wind sich in den letzten Nachtstunden noch verstärken würde. Aber das trat nicht ein. Der Luftzug wurde im Gegenteil schwächer und legte sich ganz. Der Sand sank nieder, und der Blick wurde wieder frei. Alle blieben einen Augenblick stehen und schauten nach den Sternen, um die Orientierung neu zu finden. Es war bald gewiß, daß man sich in der gesuchten Richtung bewegte.
    Bill heulte vor Freude auf wie ein Hund, der seinen verlorenen Herrn wiederfindet. »Mann, Männer, Kinder, Himmel und Hölle! Wir sind richtig! Richtig sind wir!«
    »Hoffentlich auch noch im Kopf«, sagte Tom vor sich hin. Die Erkenntnis, daß man die Richtung nicht verloren hatte, belebte alle. Der Marsch ging in der nächsten Stunde besser voran. Als die Sandwüste jedoch kein Ende nehmen wollte, sank der Mut wieder. Der Weg wurde jetzt so schwierig, wie Tobias vorausgesagt hatte. Aber die Pferde strebten mit Macht vorwärts. Sie mußten Wasser in der Nähe wittern.
    Ganz unvermittelt, mit einem der Höhenzüge, hörte die Sandwüste auf. Der Bereich des verheerenden Sturmes endete hier. Das Land war sandig, von steppen- und wüstenartigem Charakter, aber es war immerhin Land mit zähem Gras, Land mit festen Formen. Es war Land, auf dem man laufen konnte, ohne zu versinken, ohne in hundert Windungen die Dünen zu umgehen, die nicht trugen.
    Der Zug der zehn Menschen machte einen Augenblick halt. Die meisten hatten einen Ausdruck, als ob ihnen die Erscheinung eines guten Geistes begegnet sei, die sie noch nicht für wahr halten konnten. Waren sie gerettet?
    Die Pferde ließen sich kaum mehr halten, und Mattotaupa und Harka gaben dem Fuchs und dem Grauschimmel den Kopf frei. Erschöpft, halb verdurstet, setzten sich die Tiere doch in Galopp, und es dauerte nicht lange, da sahen ihre Reiter im ersten Morgenlicht die trüben, gelben, in der sommerlichen Trockenheit und durch die Sandverwehungen am Oberlauf träge gewordenen Fluten des Niobrara. Wässer! Wasser!
    Die Pferde standen schon am Ufer und soffen, und die beiden Indianer schlürften auch das Naß. Erst jetzt gestanden sie sich ein, was sie gelitten hatten, und daß auch ihre Kräfte am Ende gewesen waren. Der Vater schaute auf seinen Jungen, ohne daß dieser es merkte. Harka war nach allen Strapazen der vergangenen Wochen nur noch ein hautüberzogenes Skelett, Sein Gesicht wirkte wie das eines ausgezehrten Fünfzehnjährigen. Die Backenknochen traten über den eingefallenen Wangen hervor. Der Blick war scharf, vielleicht überscharf. Seine Bewegungen waren auch nach dem Durst- und Hungerweg und dem erneuten Mangel an Schlaf der letzten Tage noch sicher, man konnte sogar sagen lässig, von einer Lässigkeit, in der sich Verachtung und Ablehnung gegenüber der Umwelt ausdrückten und die jede jugendlich-heftige oder zarte Empfindung verbarg.
    Die beiden Indianer hatten sich schon erfrischt und waren vom Ufer zurückgetreten, als die zu Fuß marschierenden Männer nachkamen. Diese tranken; sie wollten gar nicht mehr aufhören. Dann warf man sich ohne ausdrückliche Abrede hin und schlief. Auch die Pferde ruhten. Die weißen Männer hatten noch nicht einmal daran gedacht, ihre Pistolen und Revolver zurückzuverlangen. Aber die Indianer und Tom steckten sie ihnen jetzt stillschweigend wieder in die Taschen. Die Schläfer grunzten nur dazu.
    Mattotaupa und Harka hatten sich mit ihren Pferden zusammen abseits gelegt. Tobias und Tom schliefen zwischen den anderen. Nachdem die unmittelbare Gefahr überwunden war, schieden sich die Gruppen wieder nach den Gesichtspunkten, die für das tägliche Leben maßgebend blieben.
    Die beiden Dakota schliefen nicht lange. In stillschweigendem Einverständnis wachten sie fast gleichzeitig auf und bereiteten ihren Aufbruch vor.

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