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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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hat eine Zukunft. Noch sehr jung, aber es wird etwas aus ihm werden. Bin neugierig, ob er die Indianer wieder zum Zirkus lotst. Die streiken nämlich, hab’ ich bereits gehört. Sie wollen Gage haben.«
    »Wieso zahlt man ihnen die Gage nicht?« Der Maler war empört.
    »Gage hin, Gage her, wie das so ist. Das Essen wird darauf verrechnet und das Wohnen im Wagen und die gute Kleidung, die sie für die Manege brauchen. Viel übrig bleibt dann nicht mehr. Aber die kommen schon wieder. Buffalo Bill versteht mit Indianern umzugehen.«
    Mattotaupa ließ sich übersetzen, was Jim gesagt hatte. Er ließ es sich von Langspeer übersetzen, weil er fürchtete, daß Jim in der Dakotasprache nicht ganz genau das wiederholen werde, was er auf englisch ausgesprochen hatte. Langspeer übersetzte wörtlich.
    »Wir gehen heute nicht in die Manege. Ich habe gesprochen, hau!« war die Schlußfolgerung, die Mattotaupa zog.
    Die Kapelle spielte schon, das hohe Gitter zum Schutz des Publikums gegen die Raubtiere war bereits aufgerichtet. Die großen Raubkatzen kamen durch das Laufgitter herein und setzten sich auf die ihnen zugewiesenen Hocker. Es war eine gemischte, für den Dompteur sehr schwierig zu bewältigende Raubtiergruppe, vier Löwen und zwei Königstiger. Als Nervenkitzel für die Zuschauer reizte der Dompteur die Tiere durch harte kurze Zurufe und mit dem Knall der Lederpeitsche. Sie antworteten brüllend und schlugen mit der Tatze, sobald er sich ihnen näherte. Er hatte eine lange Stange bei sich, die er den Tieren hinhielt und auf die sie mit der Pranke einschlugen. Die Stange war von vielen Prankenhieben und von Bissen schon eingekerbt.
    »Bello! Bello!«
    Uaah ­ uaah!
    »Tigra! Tigra, Tigra!«
    Die Tigerin fletschte das prächtige Gebiß und zeigte die großen Reißzähne. Sie brüllte nicht, sie knurrte grollend. Wütend schlug sie die Stange und biß auf das Holz.
    Der Dompteur war nervös. Harka erkannte die Schweißtropfen auf dem geschminkten Gesicht. Ein Helfer gab jetzt einen flammenden Reifen durch das Gitter herein. Der Dompteur befahl dem zahmsten der vier Löwen hindurchzuspringen. Das Tier zögerte, setzte dann aber an und sprang, sich lang ausstreckend, ohne Mühe durch den Reifen, an dem es nur das Feuer gescheut hatte. Die drei anderen Löwen folgten schnell dem Beispiel.
    Dann legte der Dompteur die Peitsche weg, zog eine große Pistole und knallte in die Luft. Dumpf knurrend ging der männliche Königstiger auf den Absprungplatz. Der Dompteur schoß zum zweitenmal, und fast verbrannte er dem Tier das Fell. Es sprang mit einer lässigen Eleganz, in der Harka Kummer und Verachtung zu spüren glaubte. Ganz andere Sprünge würde dieser Tiger in der Freiheit ausführen können! Herr der Wildnis, jetzt in Gefangenschaft, hinter Gittern, von Peitschen und Pistolen zum Vergnügen der Zuschauer gehetzt! Das Herz des Jungen schlug für die Tiger. Jagen mußte man solche Tiere, aber nicht kindische Sprünge machen lassen! Langspeer sollte ihm erzählen, wo solche Tiger lebten.
    Als letzte kam die Tigerin an die Reihe. Die ändern fünf Raubtiere saßen schon wieder auf ihren alten Plätzen, aber sie waren unruhig und ebenso nervös wie der Dompteur in der schwarzseidenen Bluse, unter der er ein Kettenhemd trug.
    »Tigra ­ Tigra! ­ Tigra!«
    Die Tigerin knurrte böse und biß wieder in die Stange. Die Musik setzte aus. Alle Zuschauer gerieten in höchste Spannung. Es war alles still im Zirkus.
    »Tigra!« Der Dompteur gab drei Schüsse schnell hintereinander ab. Aufheulend sprang die Tigerin zu dem Absprungplatz. Der Dompteur hielt in der Linken den flammenden Reifen, in der Rechten die Pistole. Das Tier knurrte mit weit geöffnetem Rachen.
    »Tigra!«
    Das Knurren wurde heiser. Die Tigerin machte sich sprungbereit, aber sie nahm nicht Richtung auf den flammenden Reifen. Sie sprang, der Dompteur duckte sich rasch, und das Tier gelangte über seinen Nacken weg in den Sand.
    Frauen und Kinder schrien laut auf. Eine schwelende Unruhe verbreitete sich unter den männlichen Zuschauern. Harka wurde bewußt, wie hohlwangig der geschminkte Dompteur war, wie seine Augen fiebrig vor Aufregung glänzten.
    »Tigra!«
    Das Tier saß im Sand, hatte sich geduckt und fletschte die Zähne. Es knurrte leise und drohend. Der Dompteur hielt der Tigerin die Stange entgegen, aber sie biß nicht mehr an. Sie hatte den Menschen im Auge. Viele Frauen unter den Zuschauern hielten die Hände vor das Gesicht, um nicht sehen zu müssen, was

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