Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
betrat der Dresseur, der die Pferde vorgeführt hatte, in seinem eleganten Frack die Manege, die lange Peitsche in der Hand.
    »Meine Damen und Herren! Hier sehen sie den wildesten Wildesel der Welt!«
    Nicht enden wollendes Gelächter unterbrach ihn. Er wartete ab.
    »Meine Damen und Herren! Die Direktion hält Wort! Wer diesen Esel in der Manege drei Minuten lang zu reiten vermag, ohne herunterzufallen, erhält zehn Dollar.«
    Das Hallo, das jetzt entstand, schien die Zeltstangen zittern zu machen. »Auf dem sanften Vieh! Auf diesem Sofa von einem Reittier! Auf so ’nem Esel! Mann, Ihr macht Konkurs! Auf dem reitet doch der ganze Zirkus! Laßt den Damen den Vortritt!«
    Der Mann im Frack wartete wieder, bis der Lärm abebbte. Endlich sagte er: »Also bitte! Aber auf eigene Gefahr!«
    Es entstand Verblüffung und Unruhe. Bekannte und Freunde, Familien besprachen sich untereinander Dann ertönte aus einer der hintersten Reihen die Stimme eines jungen Burschen:
    »Los, ich fange an, damit wir keine Zeit mit dem lieben Tierchen da unten verlieren. Aber die zehn Dollar bitte vorher deponieren! Die hole ich mir in drei Minuten!«
    »Bitte sehr, mein Herr! Sehen Sie selbst!« Der Mann im Frack ließ den jungen Wagemutigen, der inzwischen in die Manege gekommen war, zu sich herantreten, zählte ihm die zehn Dollar vor und gab sie dann dem Inspizienten der Vorstellung, der beim Manegeneingang stand.
    »Es kann losgehen!«
    Der Bursche trat an den Esel heran, der weder Sattel noch Zaumzeug trug, und schwang sich blitzschnell auf. Der Esel stand einen Augenblick wie ein Steindenkmal, dann ging er mit allen vieren in die Luft, überschlug sich und wälzte sich im Sand. Der Bursche wälzte sich neben ihm. Der Zirkus dröhnte von Hohngelächter. Leise vor sich hin schimpfend, machte sich der erfolglose Reiter unsichtbar.
    Jetzt war das Interesse erst recht wach geworden. Die Bewerber um die zehn Dollar standen schon Schlange. Der nächste schwang sich auf. Der Esel galoppierte eine Runde und legte dann seinen zweiten Reiter ebenso elegant in den Sand wie den ersten. Die Zuschauer tobten vor Vergnügen.
    Harka, Mattotaupa, Jim, Langspeer und der Maler betrachteten das Schauspiel stumm und gespannt. Sie konnten alle reiten und mit Ausnahme des Malers ritten sie alle ausgezeichnet. Die Indianer hatten erlebt und mitgemacht, wie ungezähmte Pferde zugeritten wurden, und Red Jim hatte schon einen Reiterwettbewerb auf wilden Rindern gewonnen. Aber was sich hier abspielte, war ihnen neu. Der Esel schien ein Esel, eine Schlange und ein Tiger in einer Person zu sein. Er schlug aus, stieg, wälzte sich und schien eine Art von Salto mortale zu beherrschen, mit dem er auch weiterhin jeden Reiter außer Fassung brachte. Zehn hatte er in den nächsten zwanzig Minuten bereits bewältigt.
    Das Publikum war in heller Aufregung. Wetten wurden abgeschlossen. Zwei Reiter mußten schwerverletzt weggeschleppt werden, weil der Esel sie gebissen hatte. Ein Dutzend Bewerber nahm bereits Abstand davon, sich auf dem gefährlichen Tier zu versuchen. Als der fünfzehnte wieder auf seinen Platz schlich, wurde der Esel hinausgeführt, und ein neuer, noch nicht ermüdeter kam herein.
    »Die Sache muß einen Trick haben! Die haben der Bestie das beigebracht«, schimpfte Jim vor sich hin. »So benimmt sich kein normales Tier, so schlau kann nur ein Mensch sein. Aber wartet, ich nehme euch die zehn Dollar doch noch ab, ihr Gauner! Mit mir soll das Vieh nicht fertig werden! Oder wie war’s, Harka? Willst du dich nicht ’ranwagen?«
    »Nach dir.«
    »Nach mir? Hör mal, du denkst doch nicht, daß Jim von einem Esel ’runterfällt?«
    »Wir werden sehen!«
    »Jawohl, das werden wir sehen!« Jim kletterte über die Brüstung der Loge, rannte quer durch die Manege und saß auch schon auf dem Tier, das völlig ruhig blieb. Er streichelte ihm den Hals, klopfte ihn und gab ihm einen leichten Schenkeldruck. Der Esel setzte sich in Bewegung und machte die Runde in der Manege. Red Jim winkte Harka zu, aber dieser winkte nicht zurück. Jim ließ unter dem schweigenden Erstaunen des ganzen Publikums den Esel im Schritt, im Trab und im Galopp gehen. Er ritt eine Minute, zwei Minuten, drei ­ nein, drei Minuten ritt er nicht. Urplötzlich und ohne daß der Reiter in diesem Moment darauf gefaßt war, ging auch dieser Esel wieder mit allen vieren hoch und kugelte sich dann seitlich durch den Sand, während er nach dem Reiter biß.
    Red Jim hatte losgelassen. Unter dem

Weitere Kostenlose Bücher