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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Herbst, und die großen Jagden standen bevor. Er aber, Harka, saß hier in einem Zelte, in dem es nicht nach Büffel roch, sondern nach Stall stank.
    Vom Manegeneingang her kam ein Mann durch den Rundgang, der hinter den Logen durchführte, und machte bei der Loge halt, in der Harka saß. Der Junge hatte das gehört, sich aber absichtlich nicht umgesehen, denn hier sollte niemand glauben, daß er ihm Beachtung schenke. Der Mann sagte kein Wort, sondern machte kehrt und ging zu dem Manegenaus- und -eingang zurück. Harka, der hinter ihm her schaute, erkannte, daß er die Kleidung eines Rinderhirten trug.
    »Den haben wir abgeschreckt«, sagte Langspeer. »Du, mein älterer Bruder Weitfliegender Vogel, warst ihm wohl zu teuer gekleidet, Mattotaupa war ihm zu stolz und Harka ihm zu widerspenstig. Sie werden ihre Nummer ohne uns durchführen.«
    »Buffalo Bill ist das jedenfalls nicht gewesen«, stellte Jim fest. »Wenn er selbst zurückgekommen sein sollte, uns hier aber nur irgendeinen schieläugigen Knecht schickt, um uns zu besichtigen, so braucht er sich keine Hoffnung zu machen, daß wir darauf hereinfallen!«
    Der Mann war kaum durch den Manegeneingang verschwunden, als die Musik einen Tusch blies.
    Eine Gruppe Cowboys galoppierte herein. Jim schlug sich nach seiner Gewohnheit klatschend auf die Schenkel und grölte: »Buffalo Bill! Buffalo Bill!«
    Kaum einer der Zuschauer kannte diesen Namen, der einige Jahre später so berühmt werden sollte, aber Jims Ausruf genügte, um alle zu der Meinung zu bringen, daß man diesen Namen eben kennen müsse, wenn man in Angelegenheiten der Grenze und des wilden Westens gut beschlagen sei, und so riefen gleich einige Gruppen junger Leute: »Buffalo Bill! Buffalo Bill!«
    Der Reiter an der Spitze, der damit gemeint war, hatte sich prächtig gekleidet, in feinstes Leder, mit hohen Stulpenstiefeln und Schlapphut. Er grüßte mit der Hand wie ein gnädiger König in seinem Reich. Harka studierte das Gesicht. Es war hübsch, schmal, die Nase kräftig gebogen; die Augen waren blau. Der Mann trug einen Bart, der aber anders gewachsen war als der des Malers; er trug Kinnbart und Schnurrbart. Was die weißen Männer sich alles ausdachten! Die Cowboys begannen unter Führung Buffalo Bills ihre Reiterspiele vorzuführen. Es gab dabei nichts, was für Harka neu gewesen wäre, aber sie ritten wirklich gut und schössen sicher. Indianer waren nicht zu sehen.
    Mit allgemeinem Lärm, mit Hufgetrampel, sich bäumenden Pferden, Schießen, Schreien, schloß die Vorstellung. Das Publikum spendete freigebig den Schlußapplaus. Als die Cowboytruppe durch den Manegenausgang hinauspreschte, erhoben sich auch die Zuschauer und drängten dem Ausgang zu.
    Die fünf in der Loge blieben sitzen, bis die Menge hinausgeströmt war. Die Lampen wurden schon gelöscht, als auch sie sich endlich, durch das leere Zelt gehend, hinausbegaben. Nach der Fülle der Menschen, der Musik, dem Lärm und allen Aufregungen machten das dunkle Zelt, die Stille und Leere einen ganz eigenartigen Eindruck. In der Manege kehrten die Stallburschen den Schmutz mit den Sägespänen fort und nahmen ihn auf große Schaufeln.
    Draußen standen noch Menschengruppen. Die meisten wollten noch nicht nach Hause, sondern in die Schnapsbuden gehen. Frauen stritten darüber mit ihren Männern. Die Kinder waren müde. Ein paar kleinere plärrten.
    Plötzlich erhob sich ein Lärm, der alle aufhorchen ließ. Eine sich überschlagende Stimme schrie nach der Polizei. Sofort drängten die Menschen zu dem Platze dieses neuen Vorfalls hin. Es entstand ein großer Auflauf.
    »Das muß ich mir mal ansehen!« sagte Jim und verschwand in der Menge. Die beiden Dakota und der Maler mit Langspeer blieben vor dem Zirkuseingang zusammen und warteten. Noch begriff keiner von ihnen, was eigentlich geschehen war.
    Jim kam aber bald zurück und grinste: »Die Kasse ist ausgeraubt!« sagte er. »Das ist ein Streich, meine Damen und Herren, einmalig, einzigartig und unwiederholbar, denn es ist auch wirklich kein Penny mehr darin! Die Sensation des Abends, wahrhaftig!«
    »Wo ist die Kassiererin?« erkundigte sich der Maler.
    »Na, durchgegangen! Oder was dachtest du? Als weitfliegender Vogel hat sie sich vermutlich entpuppt.«
    »Also ist sie nicht ermordet?«
    »Aber woher denn! Doch nicht immer gleich etwas Schlimmes denken. Es geht auch mal anders! Aber gelohnt hat sich dieser Fischzug, das ist sicher. Nach der Raubtiernummer hatte die schon für vier Abende

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