Der Weg ins Dunkel
fiktiven Visa bis zur Seite mit dem Foto. Es war eine erstklassige Fälschung. Sogar den dunkelroten Einband hatte man verblassen lassen, und etliche Seiten waren verknickt, damit das Dokument alt und echt wirkte.
Seit vier Tagen trug Jian einen dünnen Oberlippenbart und das pechschwarze Haar an den Seiten extrem kurz. Der Effekt war erstaunlich, denn es ließ sein Gesicht länger wirken. Außerdem trug er neuerdings farbige Kontaktlinsen, sodass seine schwarzen Augen nun grau zu sein schienen. Dass Hao all das nicht auffallen würde, hatte er völlig zu Recht vermutet. Dafür hatten sie sich zu lange nicht gesehen.
«Und ich?», fragte Hao, als er den Pass wieder zuschlug.
«Sie treten unter Ihrem eigenen Namen auf. Ihre Aufgabe besteht lediglich darin, mich als Ihren Assistenten zu präsentieren und mir das Reden zu überlassen.»
«Aber brauche ich denn keine falsche Identität? Und was, wenn Sie bereits bei der Passkontrolle am Flughafen auffliegen? Angenommen, es geht etwas schief …»
Hao sprach nicht weiter, sondern leckte sich stattdessen über die Lippen. Er hatte das Gefühl, sich völlig übernommen zu haben. Falsche Pässe, mit Millionen jonglieren … War das nicht Spionage? Bestimmt konnte man für derlei Vergehen ohne Prozess ins Gefängnis gesteckt werden. Man wusste ja, wie es in arabischen Ländern zuging.
«Hören Sie, General», sagte er leise. «Ich bin mir nicht sicher, ob ich das kann. Sie müssen wissen, dass ich nicht zum Spion geboren wurde …»
«Das hat doch nichts mit Spionage zu tun. Werden Sie bloß nicht melodramatisch!» Jian versuchte zu lächeln, entblößte aber nur seine Zähne. «Im Libanon werden Chinesen nicht angetastet», log er. «Schlimmstenfalls würde man Sie nach China zurückschicken, aber wir verlassen das Land ohnehin schon morgen wieder.»
«Trotzdem … Wohl ist mir bei der Sache nicht.»
«Vertrauen Sie mir. Sie erweisen Ihrem Land einen großen Dienst. Und denken Sie immer dran, dass es eine Frage der nationalen Sicherheit ist. Wenn die Sache erledigt ist, werde ich meinen Einfluss geltend machen und Sie zur Beförderung vorschlagen.»
«Zur Beförderung», wiederholte Hao. Obwohl er immer noch skeptisch war, begannen seine Wangen zu glühen. Bestimmt würden seine Frau und all seine Bekannten große Augen machen. Allein das war das Risiko schon wert. Außerdem hatte der General gesagt, schlimmstenfalls würde man ihn aus einem Land weisen, in dem er sowieso nicht bleiben wollte. Während des Gesprächs war er ein wenig in sich zusammengesackt, aber nun richtete er sich wieder auf. Zum ersten Mal seit Jahren spürte er, dass ihm die Brust schwoll. Endlich würde er befördert werden!
«Gut», sagte er und versuchte, einen so selbstsicheren Eindruck zu machen, als könnte Jian ihm getrost vertrauen. «So machen wir’s.» Er reichte dem General die Hand über den Tisch.
Jian zögerte. Haos Zähne waren gelb, und zwischen den Schneidezähnen klaffte eine hässliche Lücke. Seine Lippen waren rissig und dick. Ein widerlicher Kerl, aber er brauchte ihn nun einmal. In der Rolle als Haos Assistent würde er, Jian, es viel einfacher haben, seine Spuren zu verwischen. Schließlich ergriff er Haos Hand und drückte sie kurz.
«Schön, dass wir wieder in Kontakt gekommen sind, nicht wahr?», sagte Hao. «Nach so langer Zeit. Ich habe noch manchmal dran denken müssen, wie wir uns unter den Augen des Professors vom Campus gestohlen haben.»
Wieder hob er sein Glas und sah sich nach der Flugbegleiterin um.
Jian schnellte vor und packte Haos Handgelenk. «Genug!», sagte er. «Von jetzt an keinen Tropfen mehr!»
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Kapitel 13
Der weiße 7 er BMW bewegte sich so ruhig durch das Verkehrschaos von Beiruts meistbefahrener Schnellstraße Hafez el Asad, wie es irgend möglich war. In beiden Fahrtrichtungen war die Straße sechsspurig, und permanent und überall wechselten die Autofahrer die Spur. Ein Audi mit getönten Scheiben und Dubaier Nummernschild schrappte Zentimeter an den Kotflügeln des BMW vorbei. Der Motor heulte beim Beschleunigen auf und hängte eine Porschefahrerin im Bikini ab, die den BMW auf der anderen Spur überholte.
Am Straßenrand warben knallbunte Plakate für Schönheitsoperationen, Immobilien und weiße Zähne. Dahinter standen Dutzende weißer Apartmenthäuser mit Blick über das blau glitzernde Meer, die sich bis in die Vororte zogen.
Schließlich erreichte der BMW die Altstadt. Nach dem Krieg war das ganze
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