Der Weg ins Dunkel
millionenschweren Schiffe kaum je den Yachthafen verließen.
Jian und Hao gingen den Anlegesteg hinunter, betraten das Achterdeck einer Motoryacht und nahmen in ebenso bequemen wie eleganten Sesseln Platz, während zwei Crewmitglieder die Leinen losmachten. Die Deck-Crew stand an der stadtzugewandten Seite der Yacht, als sie langsam entlang der Strandpromenade durchs Hafenbecken glitten und die Strahlen der untergehenden Sonne auf die Skyline Beiruts fielen.
Jian öffnete eine Flasche Champagner, füllte zwei Gläser und entfernte die Frischhaltefolie von einem Silbertablett voller Canapés.
«Das Boot gehört Ihnen auch?», fragte Hao, als er einen großen Schluck Champagner zu sich genommen hatte. «Es ist riesig.»
«Ich habe es nur gechartert», erwiderte Jian. «Ich dachte, Sie verdienen ein angemessenes Dankeschön für Ihre Hilfe.»
Hao lächelte und prostete Jian zu. «Was habe ich denn groß getan? Trotzdem vielen Dank.»
«Aber nicht doch. Sie haben Ihre Rolle hervorragend gespielt.»
Sie sahen die Lichter der Stadt kleiner werden, während die Yacht aufs offene Meer hinausfuhr. Sie folgten dem Kurs etlicher Personenfähren, die den Haupthafen verließen, und schaukelten in ihrem Kielwasser.
Immer wieder hatte Jian Haos Glas nachgefüllt, bis er zwei Flaschen Champagner intus hatte und sich den fünften Wodka Tonic einverleibte. Sein Gesicht war gerötet, und seine Nase glühte geradezu, als er vorschlug, alte Studentenlieder zu singen. Er lehnte an der Heckreling, grinste vergnügt, und sein Haar flatterte im Wind.
«Universität …», lallte er. «Die beste Zeit meines Lebens. So viel Hoffnung … Davon gibt es im modernen Leben viel zu wenig … Hoffnung …» Er starrte in sein leeres Glas. «Und Wodka natürlich.»
Er hob den Blick und sah Jian an, der still in seinem Sessel saß. Seine blutunterlaufenen Augen begannen im Wind zu tränen. Dass Jian schon seit über einer Stunde keinen Tropfen mehr zu sich genommen hatte, war ihm entgangen.
«Noch einen Drink, bitte», sagte er.
Jian stand auf und schenkte ihm das Glas mit 50 -prozentigem Smirnoff randvoll. Vermutlich war es der letzte Drink, den Hao zu sich nahm, bevor er das Bewusstsein verlieren würde.
Hao trank gierig davon, aber er schmeckte schon nichts mehr.
Aufmerksam beobachtete Jian jede seiner Bewegungen und holte eine dünne Plastikschnur aus einem wasserdichten Behälter, der sich schon vor ihrer Abfahrt an Bord befunden hatte, und fuhr mit den Fingern darüber, während Hao immer mehr in sich zusammensackte.
«Was ist das?», fragte Hao und zeigte mit einer fahrigen Handbewegung auf die Schnur.
«Eine Spezialschnur, die sich in Salzwasser auflöst», sagte Jian mit der größten Selbstverständlichkeit. «Sie ist sehr stark, löst sich aber schon innerhalb weniger Stunden vollständig auf.»
Hao nickte mühsam und murmelte: «Schön.» Er merkte, dass er nicht mehr klar sehen konnte. Im nächsten Moment kippte er nach vorn und wusste nicht, ob es an ihm lag oder ob sie wieder das Fahrwasser eines anderen Schiffes kreuzten. Mit der linken Hand griff er nach der Reling, um sich festzuhalten. Plötzlich war ihm furchtbar heiß. Er fasste sich an die Stirn und spürte, dass sie trotz des Fahrtwinds schweißnass war. Ihm wurde übel. Er schloss die Augen und versuchte, ruhig zu atmen, um die Übelkeit zu überwinden, aber stattdessen drehte sich nun das ganze Schiff um ihn. Obwohl er so viel getrunken hatte, fühlte sich sein Mund wie ausgetrocknet an.
«Ich glaube, ich sollte … mich lieber mal … einen Moment hinlegen», murmelte er und stolperte auf das breite Sofa zu. «Kann mich einer … von der … von der Crew … zu Bett bringen?»
Nach ein paar unsicheren Schritten blieb er stehen und blickte sich um. «Wo ist die … die Crew überhaupt?»
Jian antwortete nicht, sondern beobachtete, wie Hao auf das Sofa sackte.
Hao ließ den Kopf über die Rückenlehne nach hinten fallen. Als er aufstoßen und dann würgen musste, hielt er sich die Hand vor den Mund. Eine Weile saß er mit offenem Mund, stierem Blick und schwankendem Oberkörper da, bevor er sich auf der Sitzfläche wie ein Baby zusammenrollte. Er schlief auf der Stelle ein, begann laut zu schnarchen, und ein dünner Speichelfaden rann ihm aus dem Mundwinkel.
Jian stand auf und ging zu ihm hinüber. Er schlug ihm kräftig ins Gesicht, aber Hao murmelte nur etwas Unverständliches und drehte sich auf die andere Seite, ohne richtig aufzuwachen.
Jian
Weitere Kostenlose Bücher