Der Weg ins Dunkel
Konto im Libanon gelandet war. Dort waren die Banker daran gewöhnt, als Mittelsmänner zu fungieren – wenn auch hauptsächlich für die Saudis – und die Anonymität ihrer Kunden zu wahren. Außerdem hatten die Libanesen einen angeborenen Geschäftssinn. Für sie spielte es keine Rolle, woher das Geld stammte und wofür es bestimmt war. Das Einzige, was zählte, war ihr eigener Anteil, getreu dem im Handelsbezirk von Beirut viel zitierten Spruch: «Moral ist etwas für die Philosophen von Byblos.»
Jian atmete tief durch, dann begab er sich langsam an den Esstisch zurück. Er lehnte sich in das dunkle Lederpolster und lächelte sein Gegenüber höflich an.
«Alles in Ordnung, General?», fragte der Mann.
Jian nickte und fand es amüsant, dass Hao, der ihn kannte, seit sie vor achtzehn Jahren zusammen studiert hatten, ihn respektvoll mit «General» anredete. Hao hatte in der Elektronikbranche eine recht bescheidene Karriere gemacht, obwohl die Industrie im letzten Jahrzehnt geboomt hatte. Auch jetzt strahlte er Bescheidenheit und Mittelmäßigkeit aus. Seine Augen lagen tief in ihren Höhlen, die Haut drum herum war alt und müde, seine Nase vom Trinken gerötet.
Die beiden Männer hatten sich über zwölf Jahre nicht mehr gesehen, obwohl sie sich nach wie vor als Freunde betrachteten. Als Hao in Beijing umständlich in das Flugzeug geklettert war, musste Jian mühsam verbergen, wie sehr er ihn verachtete. Haos Anzugjacke war an den Ellenbogen durchgescheuert, und ein Fettfleck zog sich über den halben Ärmel. Sie benutzten ein Flugzeug, das 50 Millionen gekostet hatte, und der Idiot war nicht mal in der Lage, sich für die Reise etwas Anständiges anzuziehen!
Es hatte sich schnell herausgestellt, dass Haos Alkoholproblem tatsächlich so schwerwiegend war, wie es die Erkundigungen andeuteten, die Jian über ihn eingezogen hatte. Gleich nach dem Start hatte Hao den ersten Wodka Tonic heruntergestürzt, und obwohl ihm anzumerken war, dass er dringend einen zweiten brauchte, hatte er nicht gewagt, darum zu bitten. Stattdessen hatte er mit dem rechten Knie gewippt, war auf seinem Sitz herumgerutscht und hatte es vermieden, das leere Glas anzusehen. Jian fand ihn abstoßend.
«Könnten wir … Gibt es vielleicht noch einen Drink?», fragte Hao schließlich mit einem angespannten Lächeln.
«Oh, tut mir leid, alter Freund», sagte Jian und schnippte nach der Flugbegleiterin. «Ich dachte, Sie hätten das Zeug aufgegeben.»
Naiv schüttelte Hao den Kopf. Die Erleichterung über den nächsten Drink überwog sein Erstaunen darüber, dass Jian ihn für trocken gehalten hatte.
«General», sagte er, dann nahm er erst einmal einen großen Schluck, «ich fühle mich geehrt, Sie auf dieser Reise begleiten zu dürfen, aber ich weiß immer noch nicht genau, was Sie eigentlich von mir erwarten.»
«Vertrauen», sagte Jian, lächelte und ließ das Wort in der Luft hängen, ehe er sich konspirativ vorbeugte. «Ich brauche jemanden, dem ich eine äußerst wichtige Aufgabe anvertrauen kann. Es handelt sich um eine Angelegenheit von größter Bedeutung für die nationale Sicherheit.»
Hao machte große Augen, und man sah, wie geschmeichelt er sich fühlte. Seit fünf Jahren saß er in seiner Firma auf dem absteigenden Ast und trug kaum Verantwortung, und jetzt vertraute man ihm so eine große Sache an!
«Eine Aufgabe?», wiederholte er fragend und hob sein Glas, um die Flugbegleiterin auf sich aufmerksam zu machen. Sie kam zu ihm und schenkte ein doppeltes Quantum Wodka nach.
«Richtig», sagte Jian. «Eine, für die ich jemanden außerhalb der Armee brauche … ja sogar außerhalb der Regierung. Nichts davon darf auf dem offiziellen Radar erscheinen, Hao. Ich kann mich doch auf Sie verlassen?»
Hao setzte sich auf. Es überraschte und freute ihn, zur Abwechslung einmal gebraucht zu werden, und gleichzeitig fühlte er sich überfordert. Er ließ den Blick über das luxuriöse Interieur des Flugzeugs schweifen. Die Gulfstream war einer von zwei Privatjets, die mit einer einzigen Tankfüllung von Beijing nach London fliegen konnten. Diese Flugzeuge standen nur der obersten Elite zur Verfügung, und nun saß er, Hao, einem Mann gegenüber, der dazugehörte … ja, mehr noch: Dieser Mann bat
ihn
um einen Gefallen.
«Selbstverständlich, General. Aber was genau kann ich für Sie tun?»
«Als ich auftreten», sagte Jian. Er fand es immer wieder komisch, wenn er nur daran dachte. Aber auch riskant. Würden der 4000
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