Der Weg ins Dunkel
Stadtzentrum neu aufgebaut worden. Nur eine Handvoll Gebäude hatte sechzehn Jahre erbitterter Kämpfe überstanden. Unzählige Einschusslöcher erzählten ihre Geschichte. Zwischen all den Neubauten mit Hang zum Luxus hatte man einige alte Häuser stehen lassen, um den Hardlinern vor Augen zu führen, dass trotz zunehmenden Wohlstands auch Beirut nicht vor schlechteren Zeiten gefeit war.
Die Minarette und die türkise Kuppel der Mohammed-Al-Amin-Moschee kamen in Sicht, und kurz dahinter bog der Wagen auf den Parkplatz der Credit Libana Bank ein. Ein Rollgitter wurde hochgefahren, und schwer bewaffnete Wachleute mit Funkgeräten winkten die Neuankömmlinge ins Innere des Gebäudes.
Sie wurden eine breite Steintreppe hinaufgeführt und fanden sich dann in einem offenen Innenhof wieder. Dicke Mauern boten Schutz vor dem Lärm und der Hitze der Stadt und lenkten den Blick auf die Schönheiten Arabiens. Eindrucksvolle Mosaike zogen sich vom Fußboden bis in die seitlichen Arkaden, und ein Springbrunnen in der Mitte des Hofs plätscherte fröhlich vor sich hin. An einer Seite standen Schreibtische aus Zedernholz, nahe dem Springbrunnen befand sich eine Wartezone mit bequemen Sitzmöbeln.
Kaum hatten die Männer Platz genommen, wurden Minztee und Pistazien gereicht. Gleich darauf näherte sich ein rundlicher Mann mit blauem Maßanzug und gepflegtem Kinnbart. Seine Haut hatte die gepflegte Blässe von jemandem, der sich sein Leben lang im Haus aufgehalten hatte und über Geld und Privilegien verfügte.
«Ahlan wa sahlan, sharraftouna fi loubnan»
, sagte der Mann. Es ist eine Ehre, Sie im Libanon begrüßen zu dürfen. Dann fügte er auf Englisch hinzu: «Mein Name ist A’zam el Hussein.»
Jian stand auf und verbeugte sich höflich, ehe er dem Mann die Hand reichte. «Ich bin der Privatsekretär von Herrn Hao und werde ihm bei unserer Besprechung auch als Dolmetscher dienen.»
A’zam nickte Hao respektvoll zu, der sich sichtlich unwohl fühlte und mit den Fingern auf die Armlehnen seines Stuhls trommelte.
«Wir haben alles so vorbereitet, wie Sie es wünschten», sagte A’zam. «Ich würde darüber allerdings gern noch einmal mit Ihnen sprechen, wenn Sie erlauben.»
Jian nickte und musste sich bewusst machen, dass er hier nur den Assistenten mimte. Dann trat er zur Seite, damit A’zam Platz nehmen konnte.
«Sie haben uns wissen lassen, dass Sie in gewisse Aktien investieren wollen», begann A’zam und winkte eine junge Mitarbeiterin herbei, die einen ledergebundenen Ordner an ihre Brust presste.
Sie reichte Jian ein einzelnes Blatt, das die Namen westlicher Telekommunikationsunternehmen trug. Daneben stand jeweils die Anzahl der Aktien, auf die Short-Optionen erworben werden sollten.
Langsam las Jian die Liste durch und prüfte aus dem Gedächtnis, ob die Zahlen mit seinen Orders übereinstimmten. «Richtig», sagte er schließlich. «Das entspricht den Anweisungen, die Herr Hao mir erteilt hat.»
«Gewiss ist sich Herr Hao darüber im Klaren, dass er bei jeder einzelnen Position gegen die zu erwartende Marktentwicklung wettet, bei einzelnen Positionen sogar in hohem Maße. Telekom-Aktien etwa haben im Laufe der letzten fünf Jahre um acht Prozent zugelegt, und einige andere stehen noch besser da.» A’zam sah Jian verständnisheischend an. «Ich fühle mich verpflichtet, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass Sie erhebliche Verluste machen werden, wenn der Trend sich nicht in Ihrem Sinne verändert.» Er beugte sich vor und hob entschuldigend die Hand. «Die Credit Libana legt Wert auf gewissenhafte Beratung.»
Jian wandte sich auf Mandarin an Hao. Danach sagte er zu A’zam: «Herr Hao ist sich über die Marktsituation im Klaren und dankt Ihnen für die Warnung. Können wir dann zur Tat schreiten?»
Hao bekam einen goldenen Mont-Blanc-Füller in die Hand gedrückt, um damit die vorbereiteten Dokumente zu unterzeichnen. Dass er den Füller behalten dürfe, sei ein bescheidenes Dankeschön der Bank, sagte A’zam. Jian überreichte er einen weiteren ledergebundenen Ordner mit Auftragsbestätigungen und Belegen über die anstehenden Transaktionen. Dann begleitete A’zam die Chinesen zu ihrem Wagen.
Zurück im Verkehrschaos der Innenstadt fuhr der BMW in westlicher Richtung dem Beirut Marina Yacht Club entgegen, wo die phantastischsten Superyachten in einer endlosen Reihe lagen. Uniformierte Crews putzten und polierten daran herum, setzten dieses und jenes instand, obwohl die wenigsten dieser
Weitere Kostenlose Bücher