Erben des Mondes - Grimoire lunaris
Blutmond
„
D arian!“
Wieder wache ich schweißgebadet auf. Wieder derselbe Traum. Und wieder dieser Name. Ich drehe mich zu meinem Wecker um. Das Display zeigt 3.28 Uhr. Es ist noch keine Stunde her, dass ich das letzte Mal aufgewacht bin. Ich versuche, mich zu beruhigen und kuschle mich ganz eng an Alex, meinen Lebensgefährten. Alex tätschelt mir schlaftrunken den Arm und murmelt nur, dass ich wieder böse geträumt habe.
Anfangs hat er mich ständig nach diesem Darian gefragt. Trotz des großen Vertrauens, dass er mir entgegen bringt, zweifelt er an meiner Erklärung. Das würde ich ehrlich gesagt auch. Aber ich kenne keinen Darian. Und so sehr ich auch versuche, herauszufinden, wieso dieser Darian durch meine Träume geistert - ich finde keine Antwort. Wie immer muss ich den Schreck des Traumes noch verarbeiten, ehe ich wieder in den Schlaf finde. Und wieder gleite ich hinüber in die Traumwelt. Ich weiß es bereits, bevor sich das Bild in meinem Kopf klärt. Ich weiß, in welche Richtung ich zuerst blicke. Und was ich zu sehen bekomme.
Wieder befinde ich mich auf dieser großen Lichtung, umrandet von dunklen, hohen Bäumen. Nebelschwaden hängen über dem moosbewachsenen Gras unter mir. Ich krieche auf allen Vieren und muss nicht erst einen Blick auf mich werfen, um zu wissen, dass meine Kleidung völlig verdreckt von Matsch und Blut teilweise in Fetzen an mir klebt. Alles an mir schmerzt. Jeder einzelne Knochen,jedes Stück Haut. Als ich mich aufrichte, kann ich einen Aufschrei gerade noch unterdrücken. Das erste, was ich zu sehen bekomme, sind die Verletzten, die sich vor mir schmerzerfüllt krümmen. Ein Blick nach rechts und links zeigt mir, dass es dort ebenso aussieht. Wer sich nicht mehr bewegt, ist bereits tot. Ich spüre selbst im Traum die Verzweiflung, die in mir aufsteigt. Und die Panik. Suchend schaue ich mich um. Wieder und wieder lasse ich meinen Blick über die Lichtung gleiten. Doch ich kann nicht finden, was ich suche. Oder besser:
wen
ich suche. Dann versuche ich auf die Beine zu kommen. Der erste Versuch misslingt. Voller Schwindel versuche ich es erneut. Diesmal etwas langsamer. Dann renne ich zwischen den Hilflosen am Boden umher, doch sie kümmern mich nicht. Nicht jetzt. Bei einem dunkelhaarigen Mann halte ich an. Beinahe panisch drehe ich die Leiche um. Voller Erleichterung entdecke ich, dass es sich nicht um
ihn
handelt. Ich suche weiter, mein Verstand versucht sich zu erinnern, welche Kleidung er trägt. Wie lächerlich, dass ich mich nicht einmal daran erinnern kann. Sicherlich würde ich ihn so viel schneller finden können. Die nächste Leiche, die ich umdrehe, ist von einer kurzhaarigen jungen Frau. Unachtsam und respektlos lasse ich sie wieder in ihre ursprüngliche Position rollen. Dann kann ich mich nicht mehr zurück halten: Ich schreie mit aller Kraft, die ich meinem geschundenen Körper noch abgewinnen kann, seinen Namen, ehe sich mein Bewusstsein verabschiedet und ich aus meinem Traum erwache.
Wieder schweißgebadet. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es jetzt genau 4.28 Uhr ist. Noch einmal muss ich an diesen grausamen Ort, ehe mein Wecker mich endlich von der Nacht erlöst.
Der Traum verfolgt mich wochenlang. Nacht für Nacht.
Dann beginnt es auch tagsüber. Ich kann mich kaum mehr auf die Arbeit konzentrieren. Egal, was ich mir länger anschaue, anfangs auf Papier, später sogar auf dem Computerbildschirm, verschwimmt vor meinen Augen. Anfangs versuche ich noch, mit Blinzeln meine Augen wieder scharf zu stellen. Weil ich damit keinen Erfolg habe, gebe ich resigniert auf. Ich vermute einen Sehfehler.
Eines Abends versuche ich mal wieder, eine meiner Klatschzeitungen zu lesen. Die Sonne war bereits untergegangen. Ich habe noch nicht einmal die Inhaltsübersicht geschafft, als mein Blick wieder getrübt wird. Dieses Mal verlaufen die Buchstaben vor mir, als wäre das Papier nass geworden. Dann kriecht die Farbe auf der rechten Seite zur Blattmitte zusammen und bildet einen Kreis… oder einen Ball – einen sehr fleckigen Ball. Ich sehe mir das Bild länger an. An irgendetwas erinnert mich dieser Kreis. Es sieht aus, als lägen Schatten über dem Kreis. Um kurz abzuschalten, sehe ich aus dem Fenster. Hinter der Hecke am Ende unseres Grundstückes kann ich sogar den Mond erkennen. Er sieht toll aus. Er ist groß, schon weit über die Hälfte gefüllt. Noch ein paar Tage, dann wird wieder Vollmond sein. Mal wieder.
Ich gehöre zu den rund 40% der Deutschen,
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