Der Weg ins Dunkel
Sie einfach wieder ein und fliegen Sie in die Stadt zurück!»
Bear schwang sich die Werkzeugtasche über die Schulter und ging auf Wilhelm zu. Direkt vor ihm blieb sie stehen und sah ihm in die Augen. Was sie dachte, war ihr nicht anzusehen, aber sie wirkte weder aggressiv noch eingeschüchtert. Wilhelm sah sie an und konzentrierte sich dann auf ihr rechtes Auge. Irgendwas stimmte daran nicht … Erst als er genauer hinsah, merkte er, dass die Iris am oberen Rand nicht pigmentiert war, und der weiße Fleck sah aus, als reflektierte ihr Auge eine weit entfernte Lichtquelle.
«Passen Sie lieber auf, Wilhelm, denn ich sage es nur ein Mal», sagte Bear so leise, dass es fast nur ein Flüstern war. «Wir wissen beide, dass ich die Einzige bin, die den entstandenen Schaden bewerten kann. Statt uns allen die Zeit zu stehlen, sollten Sie mich lieber schnell zu den Kompressoren führen.»
«Wir brauchen keine …»
«Versuchen Sie bitte ein einziges Mal, mit dem Kopf zu denken statt mit dem Schwanz», schnitt Bear ihm das Wort ab. «Hier gab es eine Explosion der Kategorie vier in einer offenen Mine. Alle möglichen Stoffe können an die Erdoberfläche getreten sein.»
Wilhelm war sichtlich beeindruckt und schwankte zwischen verletzter Eitelkeit und Einsicht in die Notwendigkeiten. Noch ehe er sich entschieden hatte, ging Bear an ihm vorbei und kletterte auf die Ladefläche des Pick-ups, warf ihre Tasche auf das rostige Blech und setzte sich mit geschlossenen Knien an eine Seitenwand.
«Nur zu Ihrer Information: Meine Mutter ist Kongolesin, mein Vater Franzose. Sie können mich aber gern weiter als Kafferin bezeichnen, falls Sie sich das nicht merken können. Nun steigen Sie endlich ein und fahren Sie los!»
Bear sah, dass Wilhelm vor Wut bebte. Sie wusste nur zu gut, wie stolz die Kapholländer waren. Vielleicht hatte sie es zu weit getrieben. Ihr Job bestand darin, das Gelände zu inspizieren, nicht einen Machtkampf gegen diesen halbgaren Buren zu gewinnen. Sie wandte den Blick von dem wütenden Wilhelm ab und sah zu den schlichten Plattenbauten hinüber, die das vorübergehende Domizil der Männer darstellten. Als sie das nächste Mal etwas sagte, war ihre Stimme sanfter.
«Ich weiß, dass es Ihre Mine ist, Wilhelm. Ich sorge lediglich für Ihre Sicherheit. Mehr nicht. Lassen Sie uns die Sache hinter uns bringen und dann Feierabend machen.»
Wilhelm holte eine Zigarette aus seiner Hemdtasche und zündete sie an. Als das Zigarettenpapier leise knisterte, sah er zum Überlaufventil der Cessna hinüber.
«Fahrt sie hin, aber gebt ihr nicht mehr als zehn Minuten», sagte er und spuckte auf den ausgedörrten Boden.
Als sie sich dem Gebäudekomplex näherten, sah Bear den fast kreisförmigen Krater, den die Explosion in die Erde gerissen hatte. Er erstreckte sich über das gesamte Areal der Mine. Es war nicht die erste Kompressorenexplosion, die sie inspizierte, aber noch nie hatte sie eine von so gewaltigen Ausmaßen gesehen.
Sie kletterte von der Ladefläche, öffnete den Reißverschluss der Werkzeugtasche und holte einen Schutzanzug heraus. Als sie ihn anzog, ignorierte sie die Blicke der Männer, vor allem, als sie sich den Rock hochziehen musste, um in die Hose zu steigen. Wie ein Taucheranzug hatte auch dieser Overall einen Reißverschluss am Rücken, der ohne fremde Hilfe nicht leicht zu schließen war, aber die Hilfe der Männer in Anspruch zu nehmen, kam nicht in Frage. Als sie es geschafft hatte, zog sie lange Handschuhe an, dichtete sie mit Gafferband ab und streifte sich die Riemen einer Gasmaske über den Kopf. Die Werkzeugtasche unterm Arm bewegte sie sich vorsichtig auf den Kraterrand zu und hörte, wie ihr Atem rasselnd durch die Filterschichten der Gasmaske zog.
Im Zentrum der Mine war das rote Gestein schwarz verkohlt. Hier und da glommen noch Aschehaufen. Unter dem verstreuten Schutt sah man auch Teile der Kompressorenhalle, das Eckelement eines Dachs, völlig verdrehte Metallregale und Isolierschichten von Leitungsrohren.
Was Bear am stutzigsten machte, war die Form des Explosionskraters. Die Druckwelle hatte sich nämlich völlig gleichmäßig ausgebreitet und erinnerte eher an das Schadensbild einer Mörsergranate. Ganz offensichtlich hatte sich das Geschehen vom Explosionsherd ausgehend nicht so entwickelt, wie zu erwarten wäre, wenn ein explodierender Kompressor die anderen im Zuge einer Kettenreaktion gesprengt hätte. Nachdenklich schüttelte sie den Kopf. Was zum Teufel war hier
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