Der Weg ins Dunkel
gelegt, damit sie nicht herunterrutschte.»
«Wie alt warst du da?»
«Acht.»
Bear seufzte, und Luca spürte den Luftstrom auf seiner Haut. «Kurz darauf kehrte sie nach Bunia zurück, mit einem Mann, den ich vorher noch nie gesehen hatte. Mein Kopf war voller Läuse, und ich ernährte mich von dem, was ich im Müll finden konnte. Sie hat mir die Haare abrasiert und steckte mich in einen viel zu großen rosafarbenen Bademantel und ein Paar Jungensandalen. Danach habe ich sie nie wiedergesehen.»
Luca streichelte ihren Hals und spielte mit ihrem Haar.
«In dieser Gegend sind alle irgendwie kaputt», flüsterte Bear. «Geschichten wie meine sind hier Alltag.»
«Du hattest vorhin recht», sagte Luca leise. «Ich habe wirklich keine Ahnung, was hier los ist, und ich hätte dich nicht so beschimpfen dürfen. Hier ist alles anders. Wo ich herkomme, überlassen Mütter ihre Kinder sich nicht selbst.»
Bei seinen letzten Worten kreuzte Bear die Arme vor der Brust, weil sie plötzlich das Bedürfnis hatte, ihre Blöße zu bedecken. Langsam wurde sie von der Realität wieder eingeholt, und der magische Moment war vorbei. Stattdessen flutete die Erinnerung an alles andere zurück. Sie hob ihr schmutziges T-Shirt vom Boden auf und zog es über.
«Du willst dich morgen zu dem Vulkan aufmachen, oder?», wechselte sie das Thema.
«Wenn es dort eine Mine gibt, stehen die Chancen gut, dass Joshua noch lebt», sagte Luca. «Da brauchen sie Männer, die arbeiten können, keine Toten. Aber keine Sorge, Bear, ich lasse dich hier nicht allein zurück.»
«Eh! Je peux prendre soin de moi»
, schnappte sie. Ich kann selber auf mich aufpassen. «Hier im Dschungel brauche ich deine Hilfe nicht.»
«Ich weiß.» Beschwichtigend hob Luca die Hände. «Das hast du gezeigt. Wenn wir uns dem Vulkan von hinten nähern und die Tunnel finden, von denen Lanso gesprochen hat, kommen wir vielleicht ungesehen in die Mine.»
«Wir haben es mit der LRA zu tun, Luca. Wenn die uns in die Finger kriegen …»
«Wir werden vorsichtig sein, das verspreche ich dir.»
Bear schnaubte verächtlich. «Versprich lieber nichts, was du nicht halten kannst.»
Eine Weile herrschte Schweigen, dann sagte Luca: «Zwei Jahre lang habe ich mich jetzt vor der Welt versteckt, und das hier ist meine Chance, alles wiedergutzumachen. Ich muss rauskriegen, ob Joshua dort ist, Bear. Ich muss einfach. Die Frage ist nur, wie du jetzt weitermachen willst.»
«Ich?»
«Ja. Komm schon, ich will’s wissen.»
Ein bitteres Lächeln huschte über Bears Lippen. «Ich habe gerade das größte Versprechen gebrochen, das ich meinem Mann je gegeben habe. Ich wünschte, ich wüsste, wie ich weitermachen will.»
Sie setzte sich auf, die Arme weiterhin vor der Brust verschränkt. Sie starrte in die Dunkelheit, und als sie weitersprach, klang es völlig emotionslos.
«Jedenfalls erledige ich erst mal meinen Job und finde heraus, ob die Gesteinsprobe wirklich aus dieser Mine stammt. Danach lasse ich dieses gottverlassene Fleckchen Erde so weit wie möglich hinter mir.»
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Kapitel 22
Der Pilot des Oryx sah auf sein GPS -Gerät, dann auf das endlose Grün des Ituriwaldes unter sich und hob schließlich zwei Finger seiner behandschuhten Hand. Xie betrachtete das alles mit unbewegter Miene. Dann kam General Jians Stimme über das Headset.
«Wir landen in zwei Minuten», sagte er auf Mandarin.
Seine Stimme klang angespannt. Er saß auf der anderen Seite der offenen Kabine und trug eine gebügelte Uniform mit glitzernden Epauletten an den Schultern und auf Hochglanz polierte Stiefel. Zu seinen Füßen lag der Metallkoffer, den er dort bei Flugbeginn sorgsam verstaut hatte.
Jian sah zu Xie hinüber, ohne einen Hehl aus seiner Verärgerung zu machen. Dass Kai darauf bestanden hatte, ihn bei der Endabrechnung von Xie begleiten zu lassen, obwohl der zu dem Zweck extra aus Shanghai ausgeflogen werden musste, bedeutete nichts Gutes. Selbst falls sie sich noch nicht fragten, wo das Geld für einen Satelliten geblieben war, den es nie gegeben hatte, war Xies bloße Anwesenheit ein Zeichen von Misstrauen. So viel stand fest. Von jetzt an musste er, Jian, also mehr denn je Herr der Lage sein, durfte nichts dem Zufall überlassen.
Seine Konzentration ließ jedoch nach, als ihm der Schmerz wieder in die Schläfen schoss. Es war zum Verrücktwerden. Er hatte bereits die komplette Tagesdosis seiner Schmerztabletten eingenommen, und trotzdem hatte er das Gefühl, als
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