Der Weg ins Dunkel
Stufen führten zu einer Felsnische hinauf, die einer überdachten Terrasse ähnelte. Bei näherem Hinsehen handelte es sich um den Eingang einer großen Höhle, an deren Rand ein Tisch und vier lederne Safaristühle aufgestellt waren. Okapifelle lagen auf dem Boden, und neben einem metallenen Ventilator stand ein alter Kühlschrank. Der Ventilator war eingeschaltet, schwenkte surrend von einer Seite zur anderen und hielt die staubtrockene Luft in Bewegung.
Die Bodyguards zogen sich ins Innere der Höhle zurück. Mordecai setzte sich an eine Seite des Tisches und winkte Xie und Jian auf die andere. Der Höhleneingang lag oberhalb der Baumkronen, sodass die Männer einen Panoramablick über den Ituriwald mit seinen Grüntönen in allen erdenklichen Nuancen hatten.
Mordecai gab jemandem in der Höhle ein Zeichen, und ein alter Mann trat hervor, ein Tablett mit einem Drahtkäfig in der Hand, das er unsanft auf den Tisch stellte. Seine dürren Arme waren schwach, seine Hände ungelenk. Mordecai lächelte ihm zu und griff vorsichtig nach seinem Handgelenk.
«Vous semblez fatigué, mon oncle. Reposez-vous»
, sagte er. Sie sehen müde aus, Onkel. Ruhen Sie sich etwas aus.
Dann wandte er sich Jian zu, der fasziniert in den Drahtkäfig starrte. Zwei gleichfarbige Schmetterlinge flatterten darin umher, einer etwas größer als der andere. Zartrosa Streifen mit pechschwarzen Spitzen zeichneten ihre Flügel, die so unglaublich dünn und luftig waren, dass sie an Spinnennetze erinnerten.
«Salamis parhassus»
, hauchte Jian und konnte den Blick nicht abwenden. «Ich dachte, sie seien ausgestorben.»
«Im Kongo schlummern noch so manche Schätze», erwiderte Mordecai. «Betrachten Sie es als Zeichen unserer Freundschaft.» Dann sah er Xie an und sagte: «Ich wusste nicht, dass Sie mitkommen würden, sonst hätte ich Ihnen ebenfalls ein angemessenes Geschenk mitgebracht. Niemand verlässt mein Land mit leeren Händen.»
«Ihr Land besuchen zu dürfen, ist Geschenk genug», sagte Xie in gebrochenem Englisch mit starkem chinesischen Akzent. «Ich bin nur Berater für General.» Er lächelte höflich, rieb sich die Augenwinkel und sah plötzlich furchtbar müde aus. Mit seinem zerzausten Haar und dem verknitterten Leinenanzug wirkte er völlig fehl am Platze und schien sich auch so zu fühlen.
Mordecai machte kein Hehl daraus, dass er jegliches Interesse an ihm verlor. Stattdessen konzentrierte er sich auf Jian.
«Diese beiden Exemplare stammen aus dem nördlichsten Teil des Waldes. Ich habe extra einen Suchtrupp nach ihnen ausgeschickt.»
«Sie sind perfekt.» Jian nickte anerkennend. «Es werden die Prunkstücke meiner Sammlung sein.»
«Die Schöpfung ist voller wunderbarer Dinge», sagte Mordecai und faltete die Hände. «Und Sie sollen daran Anteil haben. Sie haben uns alles verschafft, was wir brauchen, um das Kabila-Regime zu stürzen. Dafür sollen Sie reich entlohnt werden.»
Jian hob die Augenbrauen. «Reich entlohnt? Ich denke, Sie sind derjenige, der ‹reich entlohnt› wird. Wir bezahlen drei Milliarden für diese Mine. Das ist nicht gerade wenig.»
«Nein, das stimmt. Aber es ist ein angemessener Preis. Ihre Landsleute haben bereits Millionen Telefone mit unserem Feuer-Coltan produziert, und gewiss wird es sie reich machen.» Mordecai zeigte mit dem Finger auf Jian und schmunzelte wie über einen guten Witz. «Und Sie ganz persönlich, General, werden ein
sehr
reicher Mann sein.»
Jians Miene verriet nichts, aber innerlich schrillten seine Alarmglocken. Was wollte Mordecai damit sagen? Meinte er die Gilde allgemein – oder wusste er von den Börsengeschäften im Libanon? Nein, das konnte nicht sein. Wie hätte er dahinterkommen sollen? Er hatte ja die ganze Zeit in diesem verdammten Dschungel gesteckt.
Mordecai beugte sich leicht vor, und sein Gesicht wurde ernst. «Sagen Sie, General, wann werden die Telefone in den Westen geliefert?»
«Sie haben die Speicherhäuser bereits verlassen», antwortete Jian schnell und war froh über den Themenwechsel. Vor vierzehn Stunden war die entsprechende Presseerklärung herausgegeben worden und hatte weltweit eingeschlagen wie eine Bombe. Die Aktien der herkömmlichen Telekommunikationsunternehmen hatten ihre Talfahrt bereits begonnen. «Alles ist planmäßig in die Wege geleitet worden. Wie vereinbart werde ich jetzt die Überweisung von fünfzig Prozent der Kaufsumme veranlassen, und die Mine wechselt offiziell den Besitzer.»
Mordecai nickte desinteressiert
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