Der Weg ins Dunkel
beobachteten ihn ein paar Minuten lang, aber er bewegte sich nicht.
«Sieht aus, als ob er schläft. Lass uns weiter aufsteigen. Da oben erwartet er bestimmt keinen Eindringling», sagte Luca.
Bear sah ihn beunruhigt an. Der Staub machte ihre Haut noch dunkler und ließ das Weiße in ihren Augen leuchten. Ihr ursprünglich weißes T-Shirt war inzwischen so schmutzig, dass es sich kaum noch von ihrer Haut abhob.
«Das ist doch verrückt», sagte sie. «Was, wenn er aufwacht und Alarm schlägt?»
«Wir umrunden die Bergflanke über ihm. Keine Sorge, er wird uns nicht sehen.»
Bear blieb skeptisch. «Wir hätten den Fluss nicht überqueren sollen.»
Luca legte einen Finger an die Lippen, um ihr zu signalisieren, dass sie leiser sprechen sollte, und sagte: «Gib mir zehn Minuten.»
Schnell und geschickt kletterte er in den Fels vor ihnen. Dann bewegte er sich seitwärts, bis er genau über dem schlafenden Mann, aber hinter einer Felsnase versteckt war. Vorsichtig streckte er sich zur Seite, um nach unten zu sehen, und tastete mit den Füßen nach einem festen Halt, als ein Stein unter ihm wegrutschte und klackernd den Berg hinunterfiel. Er drehte sich um sich selbst, schlug hier und da auf und wirbelte Staub auf, bevor er unweit des Ufers ins flache Wasser fiel, wenige Meter von dem schlafenden Mann entfernt.
Luca kam aus der Deckung und schlitterte den Hang hinunter, bis er nur noch drei Meter von dem Mann entfernt war. Er hob einen Stein auf, um ihn als Waffe benutzen zu können, ging auf die Knie und kroch näher.
«Putain!»
, fluchte Bear. Am liebsten hätte sie Luca zurückgeholt. Sprungbereit beobachtete sie ihn, bis sie sah, dass er den Stein weglegte. Dann rannte sie zu ihm.
Der Mann vor Luca war eindeutig tot. Die Leichenstarre hatte seinen Körper bereits erfasst, und er streckte die Hand aus, als wollte er sich an etwas festhalten. Der schwarze Staub hatte sich auf seine Augäpfel gesetzt. Unter seiner Nase waren zwei Streifen angetrockneten Bluts, und die ganze linke Kopfseite war merkwürdig verformt. Hals und Wange waren so stark geschwollen, dass das ganze Gesicht etwas Fratzenhaftes hatte.
Rechts von der Leiche wölbte sich der Fels etwas vor, und unter dieser Felsnase lag ein Tunneleingang. Irgendwann war hier Lava aus dem Berg geströmt und hatte eine Stein gewordene Spur hinterlassen, die sich den Berg hinunterzog.
Bear kniete sich neben die Leiche und sah dem Mann aufmerksam ins Gesicht. «Er muss ein Bantu sein, vielleicht aus einem der umliegenden Dörfer. Aber wenn ihm die Flucht gelungen ist, warum ist er bloß bis hier gekommen? Warum hat er sich nicht im Dschungel versteckt?»
«Wahrscheinlich war er zu schwach.» Auch Luca betrachtete die Leiche. Es war deutlich zu sehen, dass der Mann stark unterernährt war und schwer gearbeitet hatte. «Der arme Kerl», murmelte er.
«Was ist das für eine Schwellung an der Seite seines Gesichts? Hast du so etwas schon mal gesehen?», fragte Bear.
Luca schüttelte den Kopf. «Nein, aber wir haben in Goma mit einem Arzt gesprochen, der sagte, bei vielen Leichen, die in den Fluss geworfen worden waren, hätte er Schwellungen am Kopf gesehen. Ich vermute, dass er solche wie diese hier meinte.»
«Aber was haben sie zu bedeuten?»
Luca antwortete nicht. Bis jetzt hatte er sich lediglich darauf konzentriert, Joshua zu finden, und nicht darüber nachgedacht, in welchem Zustand er wohl sein würde, wenn er ihn tatsächlich fand. Nach einer Weile sagte er: «Vielleicht sehen hier alle so aus … alle, die in der Mine arbeiten.»
Bear begriff, was ihm durch den Kopf ging. «Das muss nicht heißen, dass es bei deinem Freund genauso ist», sagte sie. «Wir haben keine Ahnung, womit wir es hier zu tun haben.»
Luca sah zum Tunneleingang. «Es gibt nur einen Weg, es herauszufinden.» Er kniete sich hin und blinzelte in die Dunkelheit.
Der Tunnel war so niedrig und eng, dass sie die Schultern einziehen und sich liegend hindurchquetschen mussten. Ein widerlicher Gestank kam ihnen entgegen; Schwefel war nur ein Bestandteil davon. Luca zögerte, ehe er sich weiter voranbewegte.
«Du brauchst nicht mitzukommen. Wenn es der Eingang zur Mine ist, hole ich eine Probe heraus und gebe sie dir.»
«Das ist gut gemeint», sagte Bear. «Aber soll ich hier solange als Zielscheibe im Freien stehen? Es ist die Wahl zwischen Pest und Cholera.»
Luca lächelte resignierend und holte sein Messer aus dem Gürtel. Dann zog er sein T-Shirt aus, schnitt es in Streifen
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