Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Weg ins Glueck

Titel: Der Weg ins Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
Vom Netzwerk:
anders aus«, sagte Gertrude unruhig.
    »Vielleicht hätte ich Sternforscher werden sollen«, sagte Mr Meredith träumerisch und starrte gebannt zu dem Stern hinauf.
    »Ja, es muss ein sonderbares Vergnügen bereiten«, sagte Miss Oliver, »eine Art überirdisches Vergnügen. Man müsste Freunde haben, die Sternforscher sind.«
    »Wie das wohl wäre, mit den himmlischen Heerscharen zu plaudern?«, sagte Rilla und musste lachen.
    »Ich wüsste gern, ob Sternforscher sich ernsthaft für irdische Dinge interessieren«, sagte Gilbert. »Vielleicht ist es Leuten, die den Marskanal studieren, mehr oder weniger egal, ob wir ein paar Meter Schützengraben an der Westfront verlieren oder gewinnen.«
    »Irgendwo habe ich gelesen«, sagte Mr Meredith, »dass Ernest Renan eines seiner Bücher 1870 während der Belagerung von Paris geschrieben hat, und das »mit großer Freude«. Ich nehme an, so jemanden nennt man einen Philosophen.«
    »Ich habe auch gelesen«, sagte Miss Oliver, »dass er kurz vor seinem Tod gesagt hat, er würde es bedauern, jetzt schon zu sterben, wo er doch so gern noch erfahren hätte, was dieser »äußerst interessante junge Mann, der deutsche Kaisen, noch alles vorhatte in seinem Leben. Wenn Ernest Renan heute als Geist umgehen würde und sähe, was dieser interessante junge Mann seinem geliebten Frankreich angetan hat, ganz zu schweigen von der ganzen Welt! Ob er dann auch noch so wohlwollend über ihn sprechen würde wie 1870?«
    »Wo Jem wohl heute Abend ist?«, fragte sich Rilla, als sie plötzlich wieder auf den Boden der Tatsachen kam.
    Über ein Monat war nun schon vergangen, seit sie die Nachricht über ihn bekommen hatten. Nichts hatte man über ihn erfahren, trotz aller Anstrengungen. Zwei oder drei Briefe von ihm waren gekommen, die er vor dem Überfall auf den Schützengraben geschrieben hatte, und seitdem war Stille. Jetzt waren die Deutschen wieder an der Marne und rückten immer näher an Paris heran, und es ging das Gerücht eines weiteren Angriffs der Österreicher auf die Piave-Front um. Bedrückt wandte sich Rilla von dem neuen Stern ab. Das war einer der Augenblicke, in dem Hoffnung und Zuversicht sie völlig im Stich ließen, wo es ihr unmöglich schien, auch nur einen Tag weiterzumachen. Wenn sie nur wüssten, was mit Jem geschehen war. Dingen, die man weiß, kann man ins Auge sehen. Aber wenn man nurvon Angst und Zweifel und Ungewissheit geplagt wird, dann ist das sehr schlimm. Sicher käme doch irgendeine Nachricht, wenn Jem am Leben wäre! Er musste tot sein! Nur - sie würden es nie erfahren, sie konnten nie ganz sicher sein; und Monday würde so lange auf den Zug warten, bis er an Altersschwäche sterben würde. Monday war nur ein armer, treuer, kleiner Hund, der nicht mehr über das Schicksal seines Herrchens wusste als die Menschen auch.
    Rilla hätte eine »weiße Nacht« und schlief erst sehr spät ein. Als sie aufwachte, saß Gertrude Oliver an ihrem Fenster und lehnte sich hinaus, um die silbergraue, geheimnisvolle Morgendämmerung auf sich wirken zu lassen. Ihr eindrucksvolles Profil mit dem dichten schwarzen Haar im Nacken hob sich klar gegen das blasse Gold des Osthimmels ab. Rilla musste daran denken, wie Jem die feinen Linien von Miss Olivers Stirn und Kinn bewundert hatte, und zuckte zusammen. Alles, was sie an Jem erinnerte, bereitete ihr inzwischen einen unerträglichen Schmerz. Walters Tod hatte ihrem Herzen eine schlimme Wunde zugefügt. Aber es war eine saubere Wunde gewesen, die langsam geheilt war, wie es für solche Wunden typisch ist, auch wenn die Narbe für immer bleibt. Aber die Qual, die Jems Verschwinden ihr zufügte, war etwas anderes: Es steckte ein Gift darin, das die Heilung verhinderte. Der Wechsel zwischen Hoffnung und Verzweiflung, das endlose Warten Tag für Tag auf den Brief, der nicht kam - der vielleicht niemals kommen würde -, die Zeitungsberichte über die Misshandlung von Gefangenen, die Frage, wie schlimm wohl Jems Verwundung war - all das war langsam nicht mehr auszuhalten.
    Gertrude wandte sich um. In ihren Augen lag ein sonderbarer Glanz. »Rilla, ich habe wieder einen Traum gehabt.«
    »Oh nein! Nein!«, rief Rilla entsetzt. Miss Olivers Träume hatten bis jetzt immer Unglück vorhergesagt.
    »Rilla, es war ein guter Traum. Hör zu! Ich habe wie vor vier Jahren geträumt, dass ich auf der Verandatreppe stand und auf Gien hinabschaute. Es war immer noch bedeckt mit Wasser und die Wellen umspülten meine Füße. Aber als ich genauer

Weitere Kostenlose Bücher