Der Weg ins Glueck
dann kannst du bleiben, wo der Pfeffer wächst.« Wutentbrannt stapfte Cousine Sophia nach Hause, um diese Schmach zu verdauen, und ließ sich wochenlang nicht mehr in Susans Küche blicken. Vielleicht war das am besten so, denn es waren harte Wochen, als die Deutschen mit ihren Angriffen fortfuhren, mal hier und mal dort, und bei jedem Schlag fielen ihnen offenbar wichtige Ziele in die Hände. Und eines Tages Anfang Mai, als Wind und Sonne im Regenbogental ihr lustiges Spiel trieben und das Ahornwäldchen grüngolden schimmerte und sich die Wellen des blauen Meeres im Hafen kräuselten und weiße Schaumkronen bildeten, da kam die Nachricht von Jem.
Es hatte einen Angriff auf den Schützengraben der kanadischen Front gegeben - einen so kurzen, unbedeutenden Überfall, dass er noch nicht einmal in den amtlichen Kriegsberichten erwähnt wurde. Und als der Überfall vorbei war, hieß es, Oberleutnant James Blythe gelte als »verwundet und vermisst«.
»Das ist fast noch schlimmer, als wenn die Nachricht von seinem Tod gekommen wäre«, sagte Rilla fassungslos.
»Nein, nein, »vermisst« bedeutet, es besteht noch ein Funken Hoffnung, Rilla«, versuchte Gertrude Oliver sie zu überzeugen. »Ja - quälende, verzweifelte Hoffnung, die einen davon abhält, sich mit dem Schlimmsten abzufinden«, sagte Rilla. »Ach, Miss Oliver! Müssen wir denn jetzt wochen- und monatelang im Ungewissen bleiben und uns fragen, ob Jem lebt oder tot ist? Vielleicht werden wir es nie erfahren. Ich - ich kann es nicht ertragen, ich kann nicht! Erst Walter - und jetzt Jem. Das wird das Ende sein für Mutter. Sie brauchen ihr nur ins Gesicht zu schauen, Miss Oliver, dann werden Sie es selbst sehen. Und Faith - die arme Faith -, wie soll sie damit fertig werden?«
Gertrude fing vor Schmerz an zu zittern. Sie sah zu den Bildern hinauf, die über Rillas Schreibtisch hingen, und hatte plötzlich einen Hass auf Mona Lisa mit ihrem immerwährenden Lächeln.
Dich kann wohl überhaupt nichts erschüttern!, dachte sie wütend.
Aber sie sagte tröstend zu Rilla: »Nein, das wird nicht das Ende sein für deine Mutter. So schnell gibt sie nicht auf. Außerdem weigert sie sich zu glauben, dass Jem tot ist; sie wird auf ihn hoffen, und das müssen wir alle tun. Auch Faith wird es tun, da kannst du sicher sein.«
»Aber ich kann nicht«, jammerte Rilla. »Jem ist verwundet! Was für eine Chance hat er da? Selbst wenn die Deutschen ihn gefunden haben, wir wissen doch, wie sie mit verwundeten Gefangenen umgehen. Ich wünschte, ich könnte hoffen, Miss Oliver, es würde mir sicher helfen. Aber die Hoffnung in mir scheint tot zu sein. Ich kann nicht hoffen ohne Grund und es gibt keinen Grund.«
Als Miss Oliver auf ihr Zimmer gegangen war und Rilla im Mondlicht auf ihrem Bett lag und verzweifelt um ein wenig Kraft betete, tauchte plötzlich Susan wie ein gespenstischer Schatten auf und setzte sich neben sie. »Rilla, Liebes, mach dir keine Sorgen. Jemchen ist nicht tot.«
»Aber wie kannst du das glauben, Susan?«
»Weil ich es weiß. Hör zu. Als heute Morgen die Nachricht über ihn kam, da war mein erster Gedanke: Monday. Und heute Abend nach dem Abwasch ging ich dann runter zum Bahnhof. Und da saß Monday und wartete auf den Nachtzug, genauso geduldig wie eh und je. Überleg mal, Rilla, der Angriff auf den Schützengraben liegt vier Tage zurück, das war am letzten Montag. Ich fragte den Stationsvorsteher: »Können Sie mir sagen, ob dieser Hund letzten Montagabend geheult hat oder sich sonst irgendwie auffällig verhalten hat?« Er dachte kurz nach und sagte dann: »Nein, da war nichts.« -»Sind Sie sicher?«, fragte ich. »Es ist sehr wichtig!« - »Todsichen, sagte er. »Ich war den ganzen Montagabend wach, weil meine Stute krank war. Er hat keinen einzigen Laut von sich gegeben. Ich hätte das bestimmt gehört, weil die Stalltür offen stand und seine Hütte direkt gegenüberliegt!« So, liebe Rilla, das waren seine Worte. Und du erinnerst dich, wie der arme kleine Hund die ganze Nacht geheult hat nach der Schlacht von Courcelette. Und dabei hing er an Walter nicht so sehr wie an seinem geliebten Jem. Wenn er für Walter so getrauert hat, meinst du denn, er würde in seiner Hütte tief und fest schlafen, wenn Jem getötet worden wäre? Nein, liebe Rilla, Jemchen ist nicht tot, darauf kannst du dich verlassen. Wenn er tot wäre, dann hätte Monday das gewusst, so wie er es bei Walter gewusst hat, und würde nicht länger auf die Züge
Weitere Kostenlose Bücher