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Der Weg ins Glueck

Titel: Der Weg ins Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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hinsah, da gingen die Wellen zurück. Sie gingen so schnell zurück, wie sie sich vor vier Jahren heranwälzten, immer weiter zurück, bis hin zum Golf; und Gien lag vor mir, wunderschön und grün, und ein Regenbogen spannte sich über das Regenbogental - ein Regenbogen von so leuchtenden Farben, dass ich richtig geblendet wurde -, und dann wachte ich auf. Rilla, Rilla, es ist der Wechsel der Gezeiten!«
    »Ich wünschte, ich könnte das glauben«, seufzte Rilla.
    »»Der Traum von Angst, er ward zum Leid, drum trau ihm nur, wenn er zeigt Freud««, zitierte Gertrude fast fröhlich. »Ich sage dir, ich habe keinen Zweifel.«
    Und doch: Trotz des großen Sieges, den die Italiener ein paar Tage später am Piave errangen, wurde Gertrude in dem schweren darauf folgenden Monat wieder von Zweifeln gepackt; und als Mitte Juli die Deutschen die Marne überquerten, war sie wieder voll davon. Es war sinnlos, darauf zu hoffen, dass sich das Wunder von der Marne wiederholen möge, das spürten sie alle.
    Aber es wiederholte sich: Wieder, so wie im Jahre 1914, wechselten die Gezeiten an der Marne. Die französischen und amerikanischen Truppen holten zu einem vernichtenden Schlag gegen die freie Flanke des Feindes aus, und mit unfassbarer Schnelligkeit, fast so schnell wie im Traum, änderte sich das gesamte Bild des Krieges.
    »Die Alliierten haben zwei enorme Siege errungen«, sagte Gilbert am zwanzigsten Juli.
    »Das ist der Anfang vom Ende - ich fühle es, ich fühle es«, sagte Anne.
    »Gott sei Dank«, sagte Susan und faltete ihre zitternden alten Hände. Dann fügte sie leise hinzu: »Aber es wird uns unsere Jungen nicht zurückbringen.«
    Trotzdem ging sie hinaus und hisste die Flagge, zum ersten Mal seit dem Sturz Jerusalems. Als die Flagge Wind bekam und sich prächtig über ihr aufblähte, hob Susan die Hand an die Schläfe und salutierte, so wie sie es einmal bei Shirley gesehen hatte. »Wir alle haben etwas geopfert, damit du weiter im Winde wehst«, sagte sie. »Vierhunderttausend unserer Jungen sind nach Übersee gegangen, fünfzigtausend sind gefallen. Aber du bist es wert!« So stand sie da, mit windzerzaustem grauem Haar und eng geschnittener Ginghamschürze, eng aus Sparsamkeitsgründen, nicht etwa wegen der Figur. Eine imposante Erscheinung! Sie gehörte zu den Frauen, die - mutig, unverzagt, geduldig und heldenhaft - den Sieg möglich gemacht hatten. Mit ihr salutierten sie alle vor dem Symbol, für das ihre Liebsten gekämpft hatten. Ähnliche Gedanken gingen Gilbert durch den Kopf, als er ihr von der Tür aus zusah.
    »Susan«, sagte er, als sie sich umdrehte, um wieder ins Haus zu gehen, »du hast dich tapfer geschlagen, vom Anfang bis zum Ende!«

Mrs Matilda Pitman
    Rilla und Jims standen auf der hinteren Plattform des Eisenbahnwaggons, als ihr Zug auf dem Nebengleis von Millward hielt. Der Augustabend war so heiß und drückend, dass man fast erstickte in den überfüllten Waggons. Niemand wusste, warum überhaupt Züge auf dem Nebengleis von Millward anhielten. Niemand stieg dort jemals aus oder ein. Das nächste Haus lag fast vier Meilen weit entfernt, und das war umgeben von Ödland, auf dem nur Heidelbeeren wuchsen und kümmerliche Nadelbäume.
    Rilla war auf dem Weg nach Charlottetown und wollte die Nacht bei einer Freundin verbringen, um am nächsten Morgen Einkäufe für das Rote Kreuz zu erledigen. Sie hatte Jims mitgenommen, erstens, weil sie Susan oder Mutter nicht mit zusätzlicher Arbeit belasten wollte, und zweitens, weil sie ihn noch so oft wie möglich bei sich haben wollte, ehe sie ihn für immer weggeben musste. James Anderson hatte ihr vor nicht allzu langer Zeit geschrieben: Er läge verwundet im Lazarett und würde nicht in der Lage sein, an die Front zurückzukehren. Deshalb käme er so bald wie möglich nach Hause zurück, um Jims zu holen.
    Rilla war darüber zutiefst betrübt und Sorgen machte sie sich außerdem. Sie liebte Jims sehr und der Abschied von ihm würde ihr in jedem Fall schwer fallen. Wenn James Anderson ein besserer Mensch gewesen wäre mit einem ordentlichen Zuhause für das Kind, dann wäre alles nicht so schlimm. Aber Jims einem verkommenen, faulen, verantwortungslosen Vater zu überlassen, auch wenn der vielleicht nett und gutmütig zu ihm war, die Vorstellung war schlimm für Rilla. Es war auch eher unwahrscheinlich, dass Anderson in Gien bleiben würde; er hatte dort niemanden und würde deshalb vielleicht sogar nach England gehen. Und dann würde sie ihren

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