Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Weg ins Glueck

Titel: Der Weg ins Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
Vom Netzwerk:
Herzblatt. Sie war fünfundsiebzigjahre alt und hatte nicht ein einziges graues Haar auf dem Kopf, heißt es.«
    »Apropos, heute Morgen habe ich ein graues Haar entdeckt, mein allererstes«, sagte Anne.
    »Das ist mir schon eine ganze Weile aufgefallen, liebe Frau Doktor, aber ich habe lieber nichts gesagt. Ich habe mir nur gedacht: »Sie hat aber auch genug auszuhalten.« Aber jetzt, wo Sie es entdeckt haben, darf ich Sie vielleicht daran erinnern, dass graue Haare etwas Ehrenwertes sind.«
    »Ich werde wohl langsam alt, Gilbert«, sagte Anne und lachte ein wenig wehmütig. »Die Leute sagen jetzt öfter zu mir, wie jung ich doch noch aussehe. Das sagen sie nie, wenn man wirklich noch jung ist. Aber ich werde mir wegen meines Silberfadens keine Sorgen machen. Ich habe rotes Haar noch nie leiden können. Gilbert, habe ich dir je davon erzählt, wie ich mir damals auf Green Gables die Haare gefärbt habe? Niemand wusste etwas davon außer Manila.«
    »War das der Grund, warum du sie dir plötzlich ganz kurz geschnitten hast?«
    »Ja. Ich hatte einem deutschen Hausierer eine Flasche Farbe abgekauft. Ich bildete mir ein, mein Haar würde davon schwarz werden, aber es wurde grün. Also musste ich es wohl abschneiden.«
    »Da können Sie aber von Glück reden, liebe Frau Doktor!«, rief Susan. »Natürlich waren Sie damals zu jung, um zu wissen, was ein Deutscher ist. Das war die besondere Gnade Gottes, dass es nur grüne Farbe war und nicht Gift.«
    »Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit seit der Zeit auf Green Gables«, seufzte Anne. »Das war eine ganz andere Welt. Der Krieg ist wie ein Abgrund und hat das Leben in zwei Hälften geteilt. Was vor uns liegt, weiß ich nicht, aber es kann unmöglich so sein wie die Vergangenheit. Ich frage mich, ob diejenigen von uns, die ihr halbes Leben in der alten Welt verbracht haben, sich jemals in der neuen Welt zu Hause fühlen werden.«
    »Ist Ihnen auch aufgefallen«, sagte Miss Oliver, während sie von ihrem Buch aufsah, »dass alles, was vor dem Krieg geschrieben wurde, plötzlich so weit weg zu sein scheint? Man hat das Gefühl, als lese man etwas aus der Antike, wie die Ilias von Homer. Dieses Gedicht von Wordsworth - die höheren Klassen schreiben gerade eine Arbeit darüber -, ich habe es flüchtig gelesen. Diese friedliche Stille, die es ausdrückt, und diese schöne Sprache scheinen einem anderen Planeten anzugehören und haben so wenig mit dem gegenwärtigen Chaos auf dieser Welt zu tun wie der Abendstern.«
    »Die Bibel ist zurzeit das Einzige, was mich trösten kann«, sagte Susan, während sie ihre Plätzchen in den Ofen schob. »Da steht so vieles drin, was genau auf die Hunnen passt. Sandy, der alte Schotte, behauptet, der Antichrist, von dem in der geheimen Offenbarung die Rede ist, wäre zweifellos der Kaiser, aber so weit gehe ich nicht. Wenn ich meine bescheidene Meinung dazu äußern darf, liebe Frau Doktor, dann muss ich sagen, das wäre doch eine zu große Ehre für ihn.« Ein paar Tage später tauchte Miranda Pryor frühmorgens auf lngleside auf, angeblich um Nähzeug fürs Rote Kreuz zu holen, in Wahrheit aber, um mit der verständnisvollen Rilla Probleme zu besprechen, die allein nicht zu ertragen waren. Sie brachte ihren Hund mit, ein überfüttertes, o-beiniges Tier, an dem sie sehr hing, weil Joe Milgrave es ihr geschenkt hatte, als es noch ganz klein war. Mr Pryor konnte Hunde nicht leiden, aber zu der Zeit war er Joe als angehendem Schwiegersohn wohlgesonnen, und so erlaubte er ihr, das Hündchen zu behalten. Miranda war ihm dafür so dankbar, dass sie ihrem Vater einen Gefallen tun wollte, indem sie dem Hund den Namen seines politischen Idols, des großen Anführers der Liberalen, Sir Wilfrid Laurier, gab - auch wenn sie ihn bald nur noch Wilfy nannte. Sir Wilfrid wuchs und gedieh und wurde fett und fetter. Miranda verwöhnte ihn nach Strich und Faden und außer ihr konnte ihn niemand leiden. Rilla hasste ihn regelrecht. Sie konnte es einfach nicht ausstehen, wenn er sich auf den Rücken legte und bettelnd mit den Pfoten wackelte, damit man ihm den wohl genährten Bauch kitzelte.
    Mirandas Augen ließen deutliche Anzeichen einer verweinten Nacht erkennen, also bat Rilla sie hinauf in ihr Zimmer. Sie wusste, dass Miranda nun mit einer Leidensgeschichte kam, und befahl Sir Wilfrid solange unten zu bleiben.
    »Ach bitte, kann ich ihn nicht mitnehmen?«, bettelte Miranda. »Der arme Wilfy wird uns überhaupt nicht stören und ich habe ihm draußen vor

Weitere Kostenlose Bücher