Der Weg ins Glueck
Ihre einzige Sorge war gewesen, dass sie nicht rechtzeitig zu Joe durchkam. Jetzt hieß es bei Pryors anrufen. Diesmal hatte sie nicht so viel Glück, denn sie erwischte Mondgesicht-mit-Schnauzbart.
»Ist dort Miranda? Oh, Mr Pryor! Ach, Mr Pryor, wären Sie so nett und würden Miranda fragen, ob sie heute Nachmittag zu mir kommen und mir beim Nähen helfen kann? Es ist sehr dringend, sonst würde ich sie nicht darum bitten. Danke, vielen Dank!«
Mr Pryor hatte sich zwar ziemlich mürrisch angehört, aber immerhin, er erlaubte es. Schließlich wollte er es sich mit Dr. Blythe nicht verderben, und wenn er Miranda verbot, für das Rote Kreuz zu arbeiten, dann würden die Leute in Gien ihm doch bloß wieder die Hölle heiß machen.
Rilla ging hinaus in die Küche, tat ganz geheimnisvoll und machte alle Türen zu. Susan schöpfte gleich wieder Verdacht. Dann sagte Rilla feierlich: »Susan, kannst du heute Nachmittag einen Hochzeitskuchen backen?«
»Was, einen Hochzeitskuchen?!« Susan starrte sie ungläubig an. Rilla hatte ihr einst ohne Vorwarnung ein Kriegsbaby ins Haus geschleppt. Sollte sie nun ebenso plötzlich und unerwartet einen Ehegatten anschleppen?
»Ja, einen Hochzeitskuchen - einen ganz besonderen Hochzeitskuchen, Susan, einen wunderschönen Hochzeitskuchen mit vielen Rosinen und vielen Eiern und mit Zitronenschale. Und wir müssen noch ein paar andere Sachen vorbereiten. Ich werde dir morgen früh helfen. Aber heute Nachmittag habe ich keine Zeit, weil ich ein Hochzeitskleid nähen muss. Jede Minute zählt, Susan.«
Susan war wohl doch inzwischen zu alt für solche schockartigen Überraschungen.
»Wen gedenkst du denn zu heiraten, Rilla?«, fragte sie schwach.
»Aber liebe Susan, nicht ich bin die glückliche Braut. Miranda Pryor wird Joe Milgrave heiraten, und zwar morgen Nachmittag, wenn ihr Vater in der Stadt ist. Eine Kriegshochzeit, Susan - ist das nicht aufregend und romantisch? Noch nie im Leben war ich so aufgeregt!«
Die Aufregung erfasste bald ganz Ingleside, einschließlich Anne und Susan.
»Auf der Stelle werde ich diesen Hochzeitskuchen in Angriff nehmen«, gelobte Susan mit einem Blick auf die Uhr. »Liebe Frau Doktor, würden Sie mir helfen, die Rosinen auszulesen und die Eier aufzuschlagen? Dann könnte ich den Kuchen heute Abend noch in den Ofen schieben. Morgen früh können wir dann Salate und so was machen. Ich werde die ganze Nacht durchmachen, wenn nötig, damit ich endlich Mondgesicht-mit-Schnauzbart eins auswischen kann.«
Atemlos und den Tränen nah kam Miranda angekeucht.
»Wir müssen mein weißes Kleid umändern, damit es dir passt«, sagte Rilla. »Du siehst dann bestimmt sehr nett darin aus.«
Und schon wurde aufgetrennt, anprobiert, geheftet und genäht, als sei der Teufel hinter ihnen her. Sie schafften so unermüdlich, dass das Kleid bis sieben Uhr abends fertig war und Miranda es in Rillas Zimmer anziehen konnte.
»Es ist wirklich sehr hübsch, aber - ach, was gäbe ich um einen Schleier«, seufzte Miranda. »Ich habe immer schon davon geträumt, mit einem schönen weißen Schleier zu heiraten.«
Es gibt wohl eine gute Fee, die die Wünsche einer Kriegsbraut erhört. Die Tür ging auf, und Anne kam herein, mit einer hauchdünnen Last auf dem Arm.
»Liebe Miranda«, sagte sie. »Ich möchte, dass du morgen meinen Hochzeitsschleier trägst. Es ist vierundzwanzig Jahre her, dass ich eine Braut war, damals auf Green Gables - die glücklichste Braut auf Erden. Und der Hochzeitsschleier einer glücklichen Braut bringt Glück, heißt es.«
»Oh, wie lieb von Ihnen, Mrs Blythe«, sagte Miranda, während ihr die einsatzbereiten Tränen in die Augen traten.
Der Schleier wurde anprobiert und drapiert. Susan schneite bewundernd herein, nahm sich aber nicht lange Zeit.
»Ich habe den Kuchen im Ofen«, sagte sie. »Und ich spitze fleißig die Ohren. In den Abendnachrichten heißt es, der Großherzog hätte Erzerum eingenommen. Das ist eine bittere Pille für die Türken. Wie konnte der Zar nur den Fehler machen und Nicholas abkanzeln.«
Susan entschwand wieder in die Küche. Im selben Augenblick waren ein dumpfer Schlag und ein durchdringender Schrei zu hören. Alles rannte hinunter in die Küche: Gilbert und Miss Oliver, Anne, Rilla und Miranda mit ihrem Hochzeitsschleier. Susan saß mit ausgestreckten Beinen mitten auf dem Küchenboden und machte ein völlig verstörtes Gesicht, während Doc offensichtlich wieder mal als Mr Hyde auftrat und mit Katzenbuckel,
Weitere Kostenlose Bücher