Der Weg Nach Tanelorn
Schlussfolgerung gelangte, das Gleichgewicht genüge nicht – jedenfalls nicht in dem Sinn, wie du es meinst. Ausgeglichenheit in einem Menschen ist gut – sie stellt das Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen des Geistes und des Körpers her. Wir sollen sie erstreben. Aber wie sieht es mit der Welt aus? Würden wir sie durch ein Gleichgewicht nicht zu sehr lähmen?«
»Ich fürchte, ich kann dir nicht mehr ganz folgen.« Graf Brass lachte. »Ich war nie ein sehr bedachter Mann im eigentlichen Sinne des Wortes, aber jetzt bin ich hauptsächlich ein müder Mann. Vielleicht ist es die Müdigkeit, die deine Gedanken beherrscht?«
»Es ist der Grimm«, sagte Falkenmond. »Wir dienten dem Runenstab. Das kam uns teuer zu stehen. Viele starben. Viele erlitten furchtbare Qualen. In uns ist immer noch eine schreckliche Verzweiflung. Und versprach man uns nicht, dass wir mit seiner Hilfe rechnen könnten, wenn wir ihrer bedurften? Brauchen wir sie denn vielleicht jetzt nicht?«
»Möglicherweise nicht wirklich.«
Falkenmond lachte bitter. »Wenn du recht hast, möchte ich keine Zukunft erleben, in der wir sie wirklich brauchen.«
Plötzlich wurde ihm etwas klar. Er rannte ans Fenster. Der Reiter hatte inzwischen längst die Marschstraße verlassen und die Stadt erreicht. Er konnte von diesem Fenster aus nicht mehr gesehen werden. »Ich weiß jetzt, wer er ist!« rief Falkenmond.
In diesem Augenblick klopfte es auch bereits an der Tür. Mit langen Schritten beeilte sich Falkenmond, sie zu öffnen.
Und da stand er, hochgewachsen, keck und stolz, eine Hand an der Hüfte, die andere am Knauf seines einfachen Schwertes, ein zusammengefalteter Umhang über der rechten Schulter, die Mütze schief auf dem Kopf und das rote -Gesicht zu einem Lächeln verzogen. Es war der Orkneymann, der Bruder des Ritters in Schwarz und Gold – Orland Fank, Diener des Runenstabs.
»Einen schönen Tag, Euch, Herzog von Köln«, begrüßte er Falkenmond.
Falkenmond runzelte die Stirn, sein Lächeln war düster. »Auch Euch einen schönen Tag, Meister Fank. Seid Ihr gekommen, einen Gefallen zu erbitten?«
»Die Orkneyer erbitten nichts um nichts, Herzog Dorian.«
»Und der Runenstab – was erbittet er?«
Orland Fank trat nun in das Zimmer, mit Hauptmann Vedla hinter ihm. Er stellte sich an den Kamin und wärmte sich die Hände, während er sich umsah. Er amüsierte sich sichtlich über ihre Verwirrung.
»Ich danke Euch, dass Ihr mir durch diesen Herrn hier Eure Einladung übermittelt habt.« Sein lächelnder Blick richtete sich kurz auf den Hauptmann. »Ich war mir über Euren Empfang nicht klar.«
»Ihr hattet Grund, Euch darüber Gedanken zu machen, Meister Fank.« Falkenmonds Gesichtsausdruck ähnelte nun sehr dem des Mannes von den Orkneyinseln. »Mir ist, als entsinne ich mich eines Schwures, Eures Schwures, als wir uns verabschiedeten. Seither überstanden wir Kämpfe, die nicht geringer als jene waren, die wir im Dienst des Runenstabs fochten – und nie griff der Runenstab hilfreich ein.«
Fank zog die Brauen zusammen. »Das stimmt. Doch gebt die Schuld dafür weder mir noch dem Runenstab. Jene Kräfte, die in Euer Leben und das Eurer Lieben eingriffen, wirkten auch auf den Runenstab ein. Er ist von dieser Welt verschwunden, Falkenmond von Köln. Ich suchte ihn in Amarekh, in Asiakommunista, in allen Ländern der Erde. Dann hörte ich von Eurem angeblichen Wahnsinn, von seltsamen Geschehnissen in der Kamarg – und machte mich sofort vom Hof von Muskovia auf den Weg hierher, um Euch zu fragen, ob Ihr eine Erklärung für die ungewöhnlichen Ereignisse des vergangenen Jahres habt.«
»Ihr – das Orakel des Runenstabs – kommt Auskunft suchend zu uns?« Graf Brass lachte dröhnend und schlug sich klatschend auf die Schenkel. »Die Welt scheint wahrhaftig auf dem Kopf zu stehen!«
»Ich komme auch selbst nicht ohne Neuigkeiten, die Euch interessieren dürften!« Fank straffte die Schultern und drehte den Rücken zum Feuer. Nicht länger wirkte seine Miene amüsiert. Falkenmond bemerkte jetzt, wie angespannt, wie müde er war.
Falkenmond schenkte Wein in einen der Kelche und reichte ihn Fank, der ihn mit einem dankbaren Blick entgegennahm.
Graf Brass bedauerte seinen unpassenden Heiterkeitsausbruch. Ein tiefer Ernst zog über sein Gesicht. »Verzeiht mir, Meister Fank. Ich bin ein schlechter Gastgeber.«
»Und ich ein ungelegener Gast, Graf. Aus den Vorbereitungen auf Eurem Innenhof schließe ich, dass jemand heute die Burg
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