Der Weg nach Xanadu
Antiquität. Ich versuchte gerade, die Fußstützen
auszuklappen, ohne mir einen Finger zu amputieren, da steckte Daniel seinen
Kopf in den Türspalt, grinste und sagte: »Träum was Schönes.«
In
der ganzen Wohnung roch es wieder nach Essig.
Neunzehn Der vielzitierte Pleasure Dome des großen Khan mit seinen Mauern und Türmen,
die zweimal fünf Meilen fruchtbares Land umgaben, den Gärten mit den sich
schlängelnden Bächen und den weihrauchduftenden Bäumen, bleibt, so war mein
Eindruck, nach flüchtiger Lektüre als zentrales Erinnerungsbild zurück. Auch
der Secondhand-Rezeption scheint es ähnlich ergangen zu sein: Xanadu, das war
doch diese sonnendurchflutete Grünanlage mit der herrschaftlichen Kuppel
obendrauf, eigentlich ein idealer Name für eine pompöse Vorstadtdiskothek.
Doch man muß die Szenerie des
Gedichtes nur ein wenig genauer erkunden, vom Gipfel des grünen Hügels, auf dem
sich der Palast erhebt, nach unten laufen, einer tiefen romantischen Schlucht
quer durch einen Zedernwald folgen, und schon wird es dunkler, der Mond tritt
an die Stelle der Sonne, und ein unbändiges Tosen, Rauschen und Prasseln dringt
einem durch Mark und Bein. Wir befinden uns an einem wilden Ort, verzaubert und
gespenstisch, und der Gesang, der plötzlich zu hören ist, stammt mit Sicherheit
nicht aus der Kehle von Olivia Newton-John. »In unaufhörlichem Aufruhr
kochend«, schreibt Coleridge, »als atmete die Erde in dicken, schnellen
Stößen«, schießt eine mächtige Springflut hoch, bei jedem ihrer Ausbrüche
wirbeln riesige Felsbrocken hoch »wie prasselnder Hagel oder wie Korn unter dem
Dreschflegel«. Hier ist die Quelle des heiligen Flusses Alph, von hier aus
windet er sich fünf Meilen lang durch die Wälder, ehe er die »caverns
measureless to man« erreicht und in einem Tumult in einen leblosen Ozean
hinabstürzt. Vom Freudenpalast ist hier unten nur noch der Schatten zu sehen.
Die Stimme aber, die über dem
Rauschen der Eishöhlen und der Springflut schwebt, gehört einer geheimnisvollen
Frau, die unter dem abnehmenden Mond mit ihrem Klagelied einen überirdischen
Geliebten anzulocken versucht, »a woman wailing for her demon lover« * Die erste einer Reihe von Frauengestalten
aus dem Zwischenreich, mit denen Coleridge im magischen Jahr seine Gedichte
bevölkert, Wesen aus Fleisch und Blut und doch halbverwest, mächtige Pendlerinnen
zwischen Leben und Tod.
Im dritten Teil von Kubla Khan,
seltsam abgeschnitten von den beiden zuvor, eingeführt gleichsam als
Sekundärvision, taucht noch eine Frau auf, in anderer Gestalt als das
dämonenbesingende Mondgeschöpf, und doch mit ihr identisch:
It was an Abyssinian
maid,
And on her dulcimer
she played,
Singing of Mount Ebora.
Es war ein abessinisches
Mädchen,
Und
es spielte auf der Harfe
Und
sang vom Berg Abora.
Doch dieser Gesang richtet sich
nicht an einen abwesenden Geliebten, er öffnet jenen, die ihn hören, die
Schleusen des Visionären. Erstmals im Text redet der Dichter von sich selbst,
und er feiert die Kräfte, die die »Abyssinian maid« in ihm freisetzen könnte —
wenn er nur fähig wäre, ihr Spiel und ihren Gesang in sich selbst wieder zum
Leben zu erwecken. »I would build that dome in air, / That sunny dome! those
caves of ice!« *
Hat er doch gerade gemacht,
könnte man anmerken, doch darauf kommt es nicht an. Der Konjunktiv muß
bestehenbleiben, denn der poetische Initiationsritus, das heimliche Hauptthema
von Kubla Khan, ist erst dann abgeschlossen, wenn der Initiand eine
vollständige Verwandlung vollzogen hat. Der Rückweg in die Gottesgewißheit
puritanischen Denkens wäre abgeschnitten, das moralische Lehrgebäude läge in
Trümmern und der Initiierte wäre für die christliche Welt verloren.
And all should cry,
Beware! Beware!
His flashing eyes,
his floating hair!
Weave a circle round
him thrice,
And close your eyes
with holy dread,
For he on honey-dew
hath fed,
And drank the milk
of Paradise.
Und alle sollten rufen, Gebt
acht! Gebt acht!
Seine glühenden Augen, sein
wehendes Haar!
Zieht
dreimal einen Kreis um ihn
Und
schließt die Augen in heiliger Furcht,
Denn
er hat sich am Honigtau gelabt
Und
die Milch des Paradieses getrunken.
Einige seiner orthodoxen
Freunde sollten schon wenig später auf den Ancient Mariner ganz ähnlich
reagieren. Der hymnische Ton scheint dem Konjunktiv zu widersprechen, hier ist
sie ja schon, die poetische Stimme, durchtränkt von Honigtau und der Milch
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