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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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froh,
daß du nicht hier leben mußt. Liier verschimmelt man bei lebendigem Leib.« Kaum
saß er, hatte er auch schon einen Grappa vor sich stehen. Ein unwiderstehlicher
Geruch stieg mir in die Nase, ach ja, da war sie wieder, die Salzburger
Versuchung: vor mir stand die Lorelei der süßen Düfte mit ihrem Wägelchen
voller Torten, Kuchen und Strudel. Wie gut kannte ich ihren Gesang. »Wollen der
Herr etwas Süßes?« Ich ließ mich an ihren Klippen zerschellen und nahm eine
Schaumrolle, eine Punschtorte und, als symbolische Zugabe, ein
Erdbeerschiffchen. »Scheint ja alles in Ordnung zu sein bei dir«, Daniel
prostete meiner Schaumrolle zu, »nach deinem Anruf hab ich mir schon Sorgen
gemacht.«
    Meine Erzählung wurde
gelegentlich von einem Prusten unterbrochen, wenn Daniel sich nicht mehr
beherrschen konnte. Nahm ich zwischendurch einen Bissen, verstand er das
allerdings nicht wie sonst als Aufforderung zu einem eigenen Monolog, sondern
wartete, bis ich geschluckt hatte und weiterredete. Er sagte kein Wort, bis ich
fertig war. Vor den Fenstern schwebten graue Fladen in den Fluß.
    »Vergiß es«, sagte Daniel. Sein
Urteil. Unbestechlich. Das Wort eines Zehnkämpfers. »Zahlen«, sagte ich zum
Ober, der gerade mit kreisenden Bewegungen ein neues Glas Grappa zum Anflug auf
die vor meinem Freund sich ausbreitende Landebahn vorbereitete. »Sei nicht
kindisch«, sagte Daniel, und dann, mit Blick nach hinten, »bringen Sie diesem
Riesenbaby einen Merlot. Aber im Fläschchen, sonst verschüttet er wieder
alles.«
     
    »Okay, die Einwände sind dir
bekannt. Es kann nicht gutgehen. Selbst wenn sie keinen Freund hätte. Was
könntest du ihr schon geben?«
    »Sie kennt meinen Körper, er
scheint sie nicht abzustoßen. Sie redet gerne mit mir, lieber als mit ihrem
Freund.«
    »Sie ist ein junges Ding, sie
bewundert dich vielleicht, hatte einen abweisenden fetten Papa, was weiß ich.
Du füllst für kurze Zeit eine Leerstelle, aber nie bist du ihr ebenbürtig.
Faszination, Desillusion. Du kennst das doch, mon cher.«
    »Verdammt, Daniel, die altkluge
Gouvernante kann ich auch selbst spielen. Du weißt, daß ich genau diese Rolle
immer perfekt über die Rampe bringe, mehr als mir guttut. Aber unten sitze auch
ich, und mir gefällt nicht mehr, was oben abläuft. Fade Vorstellung, aber der
Hauptdarsteller verfaßt immerhin Artikel im Partisan Review, ist leidlich
gefürchteter Restauranttester und darüber hinaus noch ein gemästeter asexueller
Uni-Platzhirsch kurz vor der mentalen Frühpension. Das muß dem unten doch
gefallen. Soll es ihm, soll es mir weiter gefallen? Ist es das, wozu du mir
rätst?«
    Daniel wuchtete sich aus seiner
Sitzbank hoch, leicht schwankend, schleuderte seinen linken Arm nach oben, ließ
Zeige- und Mittelfinger scherenartige Bewegungen ausführen und verkündete allen
Gästen feierlich, »hiermit eröffne ich das neue Leben des Ersten
Übergewichtigen Yedi-Ritters Professor Doktor Alexander Markowitsch. Möge die
Macht mit ihm sein.«
     
    Nach dem sanften Rausschmiß,
bei ihm zu Hause, wir rauchten Havannas, die ihm angeblich Javier Sotomayor,
Weltrekordler in irgendeiner Art von Springen, nach einem Interview geschenkt
hatte, bekam Daniel dieses Leuchten in den Augen und, wie immer, wenn der
Grappa-Aufwind ihn fliegen ließ, wußte er für alles eine luftige Lösung.
    »Dichte sie an.«
    »Wie? Was soll das?«
    »Fang wieder an zu schreiben.
Werde gut. Überzeug sie. Sie muß jedes Gedicht, das du ihr vorliest, lieben.«
    »Du bist im Grappa-Reich, amigo
mio. Wie soll das gehen?«
    »Mach’s wie dein Wordsworth.
Schau auf deine Träume. Hol’s dir eben dort. Und schreib’s auf. Für sie.«
    »Der mit dem Traum war
Coleridge. Sauf nicht soviel.«
    »Na dann eben Coleridge. Zücke
das Laserschwert deiner Dichtkunst und zwinge den Feuerkopf in die Knie. Dann
heiratest du die Prinzessin, und die Menschheit ist gerettet.«
    »Ich hab seit zwanzig Jahren
keine Zeile mehr geschrieben. Lyrik, meine ich.«
    »Eben. Höchste Zeit für ein
Comeback.«
    »Im wahrsten Sinn des Wortes
eine Schnapsidee.«
    »Entschuldige, du wolltest doch
raus aus der faden Tragikomödie, in der du die Hauptrolle spielst.«
    »Aber nicht auf diese Art.«
    »Wie denn dann? Möchtest du
lieber eine Diät machen, Joggen gehen, dich liften lassen?«
    »Ach, vergiß es.«
    »Sag ich ja.«
     
    Stunden später, draußen
dämmerte es schon, begann ich meinen gewohnten Kampf mit Daniels Gästebett,
einer ausgesprochen bösartigen

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