Der Weg nach Xanadu
neuen Übersetzung; einen sehr alten, sehr trockenen Port mit
vergilbtem Etikett für Martin. Bevor ich an der Wohnungstür klingelte, fuhr ich
mir mit der Hand an den Hals, ein ordnender Automatismus, den ich mir nicht
abgewöhnen konnte, selbst bei offenem Hemdkragen. Du richtest dir, pflegte
Daniel mich zu verspotten, deine Krawatte immer wie ein Skispringer auf dem
Balken seine Bindung. Hast du Angst, sie könnte dir wegfliegen, wenn du in der
Luft bist?
Anna öffnete, ein halbvolles
Glas Wein in der Hand, schwarze Jeans, weißes T-Shirt mit dem Aufdruck SHIT
HAPPENS, ihr Gesicht wirkte auf mich noch bleicher als bei unserer letzten
Begegnung. Schön, daß Sie kommen konnten, trotz Ihrer vielen Termine, sagte
sie, und sofort fühlte ich mich durchschaut und beschämt. Das ist für Sie,
sagte ich, hielt ihr das Päckchen mit dem Buch hin, und die Flasche, ich zog
die Schuhe aus und ging ein paar Schritte an Anna vorbei durchs Vorzimmer, die
Flasche ist für Martin. Danke, ich werde sie ihm geben, sagte Anna.
Ich spürte ein Ziehen in den
Kniekehlen. Ist Martin nicht da, fragte ich, nein, sagte Anna, ich hab ihn
nicht eingeladen. Jetzt mußte ich schleunigst sitzen.
Es war der Moment, den Knoten
der Krawatte zu lockern, aber ich hatte ja keine um.
»Sie dürfen das nicht falsch
verstehen«, sagte Anna, »aber der Abend bei Ihnen war mir ein Fest, ich liebe
solche Streitgespräche, nur Martin war leider so furchtbar geknickt danach, daß
ich ihn drei Tage lang aufpäppeln mußte. Mit Selbstbewußtsein füttern, Sie
verstehen. Er dachte, seine Arbeit sei Ihnen völlig gleichgültig.« Sie stellte
einen Aschenbecher vor mich hin, eine Monstrosität aus den Fünfzigern, ein Wal
aus weißem Rauchglas mit hochklappbarem Maul. In meinem Kopf wirbelte es Fragen
durcheinander, aufgescheuchte Blätter. Anna bot mir eine Camel an und hielt mir
ein brennendes Feuerzeug unter die Nase. Langsam sollte ich etwas von mir
geben. »Weiß Martin«, sagte ich endlich, »daß ich heute bei Ihnen — «
»Nein«, unterbrach sie mich,
»wo denken Sie hin. Es würde ihn nur unnötig verletzen.«
»Ist das nicht ein bißchen...
unfair?«
Anna stellte zwei Gläser und eine
Flasche vor uns auf den Tisch, legte einen Korkenzieher daneben und machte es
sich auf ihrer kobaltblauen Couch gemütlich.
»Sie müssen das so sehen. Ich
unterhalte mich gerne mit Ihnen. Wenn Martin dabei ist, wird’s aber schwierig,
denn wenn es nicht um sein Thema geht, fühlt er sich gleich persönlich
gekränkt. Sie sind so eine Art Guru für ihn, er kann sich nicht entspannen in
Ihrer Gegenwart. Gesetzt den Fall, wir wären heute zu dritt und der Abend würde
wieder so verlaufen wie beim letzten Mal — ich weiß nicht, ob er das verkraften
könnte. Und euch beiden stundenlang brav zu lauschen, dazu habe ich keine Lust.
Also?«
»Entbehrt nicht einer gewissen
Logik«, sagte ich. »Aber Sie hätten mich am Telefon, wie soll ich sagen,
vorwarnen können.«
»Wären Sie dann gekommen?«
Ich wollte etwas Geistreiches
erwidern, aber Anna kam mir zuvor.
»Sie hätten Gewissensbisse
bekommen, hätten sich mit Ihren inneren Tugendrittern Gefechte geliefert und
wären mißmutig zu Hause geblieben.«
»Keine schlechte Hypothese«,
sagte ich, »bis auf den Schluß. Ich hätte den Rittern die Schwerter aus den
Händen geschlagen und wäre schweißüberströmt vor Ihrer Tür gestanden.«
»Schon möglich«, grinste sie,
»Aber dann wäre der hübsche Überraschungseffekt beim Teufel gewesen.« Sie
schnappte sich die Flasche, entkorkte sie elegant, stellte sie wieder auf den
Tisch. »Und machen Sie sich keine Sorgen um Martin. Er wird noch oft genug
Gelegenheit bekommen, sich mit Ihnen auszutauschen.«
Keine Widerrede meinerseits,
das war für Anna das Zeichen, mit der Zeremonie zu beginnen. Sie erhob sich,
hielt mir die Flasche unter die Nase wie eine Profikellnerin. »Ich habe«, sagte
sie, ganz ironische Feierlichkeit, »nach langer und reiflicher Überlegung für
den heutigen Anlaß diesen Wein ausgewählt. Er kann zwar Ihrem Cabernet — und
hier möchte ich angesichts eines Literaturprofessors ein besonders schiefes
Bild verwenden — nicht das Wasser reichen, aber zu unserem Essen paßt er ganz
ausgezeichnet. Ein Grüner Veltliner Smaragd, von einem ebenso unbekannten wie begabten
Winzer aus der Wachau.«
Ich las den Namen auf dem
Etikett. Den Mann kannte ich persönlich, von meinen Verkostungen fürs Magazin,
aber das ließ ich besser nicht durchblicken.
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