Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
Vom Netzwerk:
Sachlage
unlogisch‹. Pille alias Dr. McCoy würde dir empfehlen, dich ganz deinen
Gefühlen hinzugeben, sei es auch um den Preis des Verschwindens deiner Restwürde.
Doch dank Hegel gibt es die Synthese. Captain Kirk.«
    Ich nahm die Gabel und tippte
mir an die Stirn.
    »Möchtest
du ein Stück Mohnstrudel nach all den Eiern?«
    »Bring
es zu einem Ende.«
    »Na gut. Captain Kirk würde
abwägen. Einfach auf Erfüllung zu hoffen, würde er sagen, sei tatsächlich
unlogisch. Das Begehren leichtfertig aufzugeben sei aber nicht menschlich.
›Umgarnen Sie Ihre Anna ruhig, Fähnrich Markowitsch, aber erwarten Sie sich
nichts. Töten Sie Ihre Sehnsucht nicht ab, aber machen Sie Ihr Wohlbefinden
nicht davon abhängig, daß sie erhört wird. Und vor allem, junger unerfahrener
Freund, erzwingen Sie nichts. Wir sind ja schließlich keine Klingonen.‹
Liebende Gelassenheit, das ist alles.«
    »Da ist noch was«, sagte ich.
»Eine Schnecke.«
    »Was?«
    »Eine Schnecke. In deinem
Salat.«
     
    Stunden später streunten wir
durch den Hellbrunner Tierpark, eine nicht ganz glückliche, aus
Antriebsschwäche und Planlosigkeit entstandene Kompromißlösung für die
Nachmittagsgestaltung. Im Dickicht meiner Nasenhärchen balgten sich die
örtlichen Düfte um einen Zugang zu meinem Gehirn, gierten nach Entzifferung,
Zuordnung, Benennung — aber ich konnte ihnen auch nicht recht weiterhelfen.
Niemand außer Daniel und mir schien die Geruchsturbulenzen wahrzunehmen, ganze
Familienhorden mit geöffneten Nüstern trabten sichtlich unbehelligt an uns
vorbei, vielleicht lag es ja nur an uns, eine Art Miniatur-Massenwahn zweier
älterer Herren.
    Wir flanierten an vielerlei
Tierbehausungen vorbei, sahen Gibbonbabys durch die Luft fliegen, lauschten den
Gesängen der Papageien, schärften unseren Sinn für das Schöne beim Anblick
hochgereckter Pavianärsche und wurden Zeugen der wahrhaft monumentalen, nahezu
synchronen Entleerung einer Dromedarfamilie. Hatte schon was Erhabenes, so ein
Spaziergang im Zoo.
    Vor dem Gehege mit dem
Schneeleopardenpärchen blieb ich so lange stehen, bis sich ein aggressives
Leeregefühl in meiner Bauchhöhle breitmachte. Hinter dem Gitter balgten die
Katzen herum, davor stand ich, leicht nach vorne geneigt, in Kontemplation
erstarrt, fast ein Stilleben. Nur manchmal ertönte ein Knurren, einmal von der
einen, dann von der anderen Seite des Zauns. Als die Schneeleopardendame auf
die Geräusche meines Magens direkt zu reagieren begann, zauberte Daniel aus
seiner Sakkotasche einen silbernen Quader. »Stellt dich das ruhig?« Er deckte
die Schichten von Alufolie auf, eine nach der anderen. Was unter der letzten
zum Vorschein kam, war eine Augenweide in Schwarzweiß, der noch dazu ein derart
selbstbewußter Duft entströmte, daß die rivalisierenden Gerüche in meiner Nase
in Panik gerieten und schleunigst das Weite suchten. Ich vergaß die
Leopardendame, zog Daniel am Ärmel zu einer mit Vogeldreck dekorierten
Holzbank. Wir ignorierten würdevoll die weißen Kotspritzer, setzten uns, aßen
den Mohnstrudel und schwiegen.
    Irgendwo in der Ferne heulte
ein Wolf. Oder ein Koyote.

Einundzwanzig Zwei Tage nach meiner Rückkehr aus Salzburg rief Anna an und sagte, es sei
jetzt Zeit für die Gegeneinladung, sie könne zwar mit meinen Kochkünsten nicht
mithalten, aber genießbar seien ihre Fabrikationen in jedem Fall, und ob mir
morgen abend recht wäre.
    Ich versuchte, nicht allzu
begeistert zu klingen, im Prinzip gerne, sagte ich, aber wegen des Termins
müsse ich noch in meinem Kalender nachsehen; ich legte den Hörer neben die
Gabel und blätterte geräuschvoll in der zerlesenen Ausgabe von Nadolnys Entdeckung
der Langsamkeit , die mir Daniel als eine Art Lebensbrevier mitgegeben hatte
und die ich sofort auf dem Telefontischchen deponiert hatte, auf daß sie mich
daran erinnere, ihn gelegentlich anzurufen. Ich nahm den Hörer hoch, wartete
noch ein paar Sekunden. Zufällig, sagte ich dann, passe es gerade morgen ganz
ausgezeichnet. Na wunderbar, sagte Anna, dann morgen um acht, Kettenbrückengasse
elf, läuten Sie bei Scharrer.
     
    Nach einem Tag voller Vorträge
zum Thema Gelassenheit, deren komplettes Auditorium ich selbst war, hatte ich
mir zumindest so viel beigebracht, daß die Vorbereitungen nicht eskalierten.
    Derselbe Anzug, anderes Hemd,
keine Krawatte. Unterm Arm trug ich, in Seidenpapier verpackt, zwei ziemlich
teure Geschenke: für Anna die Journale von Gerald Manley Hopkins, in einer
hervorragenden

Weitere Kostenlose Bücher