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Der Weg nach Xanadu

Der Weg nach Xanadu

Titel: Der Weg nach Xanadu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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in Richtung
Martin auf den Tisch, schaute dabei aber mich an, »dieses Tier an sich schöner
als ›Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte‹ oder ›Tiger Tiger burning
bright in the forest of the night‹?«
    Ich nutzte die erwartungsvolle
Pause, erhob mich so elegant, wie ich konnte, ging in die Küche, überprüfte den
Bräunungsgrad des Blätterteigs im Rohr, entkorkte aus reinem Übermut einen
chilenischen Cabernet, dessen Anschaffungspreis in keinem Verhältnis zu meinen
Chancen stand, kam mit neuen Gläsern zurück und schenkte ein. Zuerst mir, dann
Martin. Anna war zuerst überrascht, dann lachte sie. Ich klappte das Buch zu
und schenkte ihr ein.
    »Sie kennen Blake?«
    »Ein paar Sachen. Von ihm.«
Daumenbewegung aus dem Handgelenk.
    »Und er gefällt Ihnen nicht.«
Pause. »Blake, meine ich.« Niemand lachte. Von draußen hörte man plötzlich den
Winterregen. Immer, wenn es wichtig war, war ich indisponiert.
    »Sie haben mich nicht
verstanden.« Annas Zeigefingerkuppe folgte dem Rand ihres Glases. Als es zu
schwingen begann und den Regen übertönte, tauchte sie den Finger in den Wein
und schleckte ihn ab.
    »Es geht nicht ums Gefallen.
Ich kann Worten nicht trauen. Schon gar nicht dem Kult, den ihr um sie macht.«
Jüngelchen und ich fanden uns nach dieser Wendung im selben Boot. Ein
Zweisitzer im Hoffnungslauf. Wir ruderten beide, was sonst.
    »Es ist schon komisch«, Martin
fing an, »daß du an den Signalen, die deine geliebten Astronomen von
irgendwelchen Quasaren auffangen, nie zweifelst. Die Sprache lügt,
Radioteleskope sagen die Wahrheit. Und doch brauchst du zum Beschreiben dieser
Daten wieder die Sprache.« Seine Gewohnheit, sich mit den Fingern beim Reden
durch die Haare zu fahren, hatte mittlerweile einen kleinen roten Dschungel auf
seinen Kopf gezaubert. »Und selbst«, versuchte ich ihm beizustehen, »wenn wir
uns darauf einigen, daß ein Panther einem Gedicht über einen Panther immer
überlegen ist, so heißt das noch lange nicht, daß damit unser Streit
entschieden ist.« Anna blätterte weiter in meinem Buch, als ginge sie der
Disput, den sie angezettelt hatte, nichts mehr an. Ich gab nicht auf. »Die
Frage ist ja: Was kommt dem Wesen des Panthers näher, ein Gedicht über den
Rhythmus seiner Bewegungen oder ein Forschungsbericht über sein Freßverhalten?«
Der Regen applaudierte leise unseren Argumenten.
    »Ach wissen Sie«, Anna war
aufgestanden, um die Plattennadel zu erlösen, die am Ende der Rille
verzweifelte Kreise zog — ein Panther im Käfig »manchmal werd ich das Gefühl
nicht los, daß eure Dichter ohne uns noch immer einen Mond besingen würden, den
sie für ein Loch in der Himmelskuppel hielten. Oder für einen fliegenden Käse.
Was riecht hier eigentlich so komisch?«
     
    Das Filet war noch zu retten.
Man konnte die verbrannte Blätterteigschicht entfernen, ohne das
Gesamtkunstwerk zu zerstören.
    Während Anna übermütig
Fleischstückchen vom Teller ihres Liebsten stiebitzte, aß ich in meiner
Phantasie Bissen für Bissen die vollständig verkohlte Leiche einer von mir
selbst lebendig verbrannten argentinischen Kuh. Moi: ein verrückt gewordener
Gaucho mit einer Fackel zwischen den Zähnen.

Siebzehn Als Anna weg war, schrieb ich ihr Sätze auf. Der Abwasch mußte warten.
Wellington selbst, heißt es, habe immer erst am Mittag des nächsten Tages
abwaschen lassen. Wegen des Klirrens und der Scheuergeräusche. Er schlief gern
lang und war sehr hellhörig.
     
    Die Ringe des Saturn sind nicht
ganz so schön wie die Himmelskörper auf den Kupferstichen von William Blake.
    Ein Foto von einem
Schneeleoparden ist eben kein Schneeleopard.
    Vielleicht sind Dichter
wirklich so, wie du sagst: Kinder in einem Zimmer voller Poster, die sie für
die Welt halten. Vielleicht hat Rilke nur lange genug einer kreisenden Fliege
an seinem Kinderzimmerfenster zugeschaut, und die nannte er dann Panther.
    Aber ich bin nicht einmal ein
Dichter, nur ein Ex-Möchtegern-Dichter.
    Was ich mache, ist das
Allerschlimmste: Ich schreibe über Worte. Auch ohne Rauschebart: Nicht mal meine Graugänse leben in deinem
Sinne wirklich.
    Liebst du ihn? Ich meine nicht,
ob du ihm diese Worte sagst, weil Worte ja immer lügen, ich meine die meßbare
Strahlung. Radiowellen.
    Wordsworth, den dein Jüngelchen
so verabscheut, hat die Natur verehrt, weil sie ihm »die große Lehrmeisterin«
war. Bestätigt das nun deine These oder meine (falls ich eine habe)?
    Wir müssen Augenblicke finden,
die uns allein

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