Der Weg nach Xanadu
des
Paradieses. Doch anders als die matriarchale Lehrmeisterin, die frei zwischen
den Welten wechseln oder auf ihrem Begrenzungszaun reiten kann wie die
mittelalterliche hagazussa, ist der Schüler zur Entscheidung verdammt.
Die Stimmen der Ahnen, die der Khan an der Mündung des heiligen Flusses aus dem
Tosen heraushört, »prophezeien Krieg«. Die erbitterten Gegner dieses Krieges
entstammen Welten, wie sie verschiedener nicht sein können. Hoch oben die
lichtdurchflutete Sphäre bürgerlich-protestantischer Selbst- und
Glaubensgenügsamkeit, ein strahlend blauer Himmel, den hin und wieder ein
metaphysischer Vogel durchzieht. Hochplateaus voller Gärten, Mauern und Türme,
zwischendrin die Körper, trocken und in ihre eigenen harten Konturen
eingeschrieben. Unten die Springfluten aus den Tiefen der Erde, die Felsbrocken
durch die Luft wirbeln als wären es Tischtennisbälle, der mondlichtdurchspukte
Machtbereich der Zaunreiterinnen mit ihren sinnlichen Ritualen, die die Zunge
fliegen lassen, die Augen öffnen und gleichzeitig die mühsam konstruierten
Grenzen des Körpers in Schutt und Asche legen. So findet der prophezeite Krieg
einerseits auf einem längst verschwundenen Schlachtfeld statt, auf dem die christlich-patriarchalischen
Heerscharen mit ihren gepanzerten Rümpfen das heidnische Fleisch niederwalzten
und den Mond mit stählernem Handschuh zerdrückten, zum anderen auf jener
vertikalen Fläche, die die Hoch- und Tiefebenen der menschlichen Psyche durchschneidet
und ihren verfeindeten Protagonisten als Kletterwand dient.
Kubla Khan lesend, steuern wir mit einer
winzigen Sonde durch den Kopf von Samuel Taylor Coleridge, schweben über dem
heiligen Fluß, der die Zonen verbindet, und werden Zeugen des verzweifelten
Versuches, sich in einer unerbittlichen Schlacht um Leben und Tod für keine der
beiden Seiten entscheiden zu müssen.
Coleridge veröffentlichte das
Gedicht achtzehn Jahre nach der Entstehung, angeblich auf Drängen von Lord
Byron, der sich besonders in eine Zeile verliebt hatte, woman waiting for
her demon lover. Doch die christliche Seite hatte längst auch in der Seele
von Samuel Taylor Coleridge den Sieg davongetragen.
Zwanzig »Du mußt«, sagte Daniel, als wir nach einer unruhig geratenen Nacht am Küchentisch
saßen, ich vor einer Riesenpfanne Bacon-and-Eggs, er vor einer Schüssel
Grünzeug, »dich in Gelassenheit üben.« Die Sonne stand schon ziemlich hoch und
schoß mir ihre gelben Dartpfeile direkt ins rechte, schwächere Auge.
Wahrscheinlich war es so blutunterlaufen, daß sie es mit dem Zentrum einer
Zielscheibe verwechselte. »Denn da ist«, ich deutete mit dem Messer auf die
Pfanne und bemühte mich, seine Morgenstimme nachzuahmen, »keine Stelle, die
dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.«
Daniel hob mit der Gabel den
Speck hoch, als suchte er darunter einen versteckten Sender. »Das Frühstück
spricht zu dir. Wirklich beeindruckend. Coleridge?«
»Sehr witzig. Was soll das mit
der Gelassenheit? Ich dachte, ich sollte sie ansingen.«
»Du wirst es nicht für möglich
halten, aber ich habe nachgedacht. Alles eine Frage der Dialektik. Du, mein
Lieber, hältst es in jugendlicher Frische ja mehr mit blumigen Poemen, die du
meist ebenso elegant sezierst wie gerade deinen Speck. Aber wer dem Ende so
nahe steht wie ich, weiß Abstraktionen zu schätzen.«
»Mußt du so weit ausholen? Ich
dachte, das mit dem Speerwerfen wäre vorbei.«
»Willst du jetzt meine Theorie
hören oder nicht?«
»Bleibt mir was anderes übrig?«
»Reichst du mir den
Tresterbrand? Dort drüben, die dünne Flasche. Aus der Steiermark. Solltest du
mal probieren. Danke. Also gut. Beginnen wir bei Hegel, den du vielleicht
kennst. Dieser wackere Mann hat sich große Meriten erworben, er hat nämlich die
Dialogstruktur von Star Trek entworfen. Der Ghostwriter von Gene Roddenberry,
gewissermaßen. Dr. McCoy, Spock, Captain Kirk. These, Antithese, Synthese.«
Daniel stand auf und bearbeitete die Jalousien, offenbar war ihm der Angriff
der apollinischen Geschoße auf meine Netzhaut nicht entgangen.
Ich griff nach der ersten Benson
des Tages, immer wieder ein feierlicher Augenblick.
»Was hat das alles«, fragte ich
nach dem ersten Zug, »mit deiner seltsamen Begeisterung für die Gelassenheit zu
tun?«
»Machen wir’s kurz. Zu deinem
Problem gibt es zwei grundsätzliche Haltungen. Mr. Spock würde ungefähr sagen:
›Auf die Erwiderung deines Begehrens zu hoffen ist nach Analyse der
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