Der Weg nach Xanadu
Meine Testereien und Bewertungen
kamen mir auf einmal vor wie kindische Hobbys eines ältlichen Mannes, nichts
als schicke Sublimierungen. Besser, sie wußte nichts davon.
»Klingt interessant«, sagte
ich, hielt ihr mein Glas hin, sie legte spielerisch die Linke auf den Rücken
und schenkte mir ein, nur bodenbedeckt selbstverständlich, ich nahm einen
Schluck, ließ den Wein in der Mundhöhle kreisen, schnalzte mit der Zunge und
stellte das Glas wieder ab.
»Und?« fragte Anna ungeduldig.
Zeit für eine kleine strategische Pause.
Der Mann war ja wirklich
begabt, nur die Honigmelonentöne gelangen ihm noch nicht ganz. Ganz
ausgezeichnet, sagte ich, wirklich erstaunlich, oder etwas in der Art. Anna
strahlte mich an, bis meine Mundwinkel unkontrolliert zu zucken begannen, dann
verschwand sie in der Küche. »Trinken Sie ruhig drauflos«, sagte sie hinter der
Tür, »das ist nicht die einzige Flasche.« Das will ich auch hoffen, dachte ich.
Annas Reich, und ich wunderbarerweise mittendrin. In der Höhle der
Schneeleopardin, fiel mir ein, und schlagartig wurde mir bewußt, wie schlecht
Daniels Idee war, wieder mit dem Schreiben von Gedichten zu beginnen.
Die hintere Wand des Zimmers
war ein einziges Bücherregal; die Versuchung, aufzustehen und die Bestände zu
inspizieren, war groß, aber ich wollte nicht ertappt werden. Hinter der Couch
hing eine Himmelskarte von beachtlicher Ausdehnung, die Sterne waren in
verschiedenen Farben eingezeichnet, was mich überraschte; der Himmel selbst
hatte exakt die gleiche Farbe wie die Couch. Rechts war eine Tür, die wohl ins
Schlafzimmer führte, direkt gegenüber, hinter einer Glastür, erstreckte sich
ein großer Balkon, fast eine Terrasse, auf dem ich die Umrisse eines Tischchens
mit einem seltsamen Gegenstand obendrauf erkennen konnte.
Meine Gemütslage oszillierte
zwischen aufgewühlt und geborgen. Zwischen Küche und Wohnzimmer wurden bewährte
Floskeln ausgetauscht, Redewendungen für Standardsituationen, Kapitel vier:
einer kocht, einer wartet. Ist Ihnen schon langweilig, keineswegs, es dauert
auch nicht mehr lange. Ich überlegte mir in der Zwischenzeit ein Bonmot, mit
dem ich Anna bei ihrem Wiederauftritt zum Lachen bringen konnte. Überlegte
mir, das sagt sich so leicht. Fieberhaft durchwühlte ich den Komik-Fundus
auf dem Dachboden meines Gehirns nach einem brauchbaren Narrenkostüm, aber
außer ein paar verstaubten Oberlehrerpappnasen konnte ich nichts zutage
fördern. Als ich kurz davor war, ob meiner Einfallsarmut mit dem Korkenzieher
meine Stirn anzubohren, schwebte meine Gastgeberin mit einem Silbertablett, das
mit Sicherheit für zwei erwachsene Männer konzipiert worden war, two
servants braught in the dinner after the fox hunt, über die Küchenschwelle.
»Voilà«, verkündete sie durch die Nase, »Saibling a la maison.« Ich war froh,
daß mir kein Bonmot eingefallen war; statt dessen brach ich in
Begeisterungsstürme aus, halb unartikulierte Phoneme, halb Standardhandbuch,
Kapitel fünf: Das Warten ist zu Ende. Eigentlich aber, und es fällt mir schwer,
das zu sagen, himmelte ich sie an, wie sie da stand, ich liebte sie hemmungslos
aus den Abgründen meiner Unvernunft heraus, während die zügelnden Geister der
Gelassenheit mit einem Kelomat-Geräusch dorthin zurückpfiffen, wo sie
hingehörten: ins Zwischenreich der Mittelmäßigkeit.
So aßen wir vor uns hin, und
bevor mir mein eigenes hingebungsvolles Schweigen die Laune verderben konnte,
brach ich es.
»Haben Sie eigentlich«, sagte
ich, »lange gesucht, bis Sie eine Himmelskarte gefunden haben, die so genau zu
Ihrer Einrichtung paßt?« Kaum war der Satz heraußen, fiel der Schalk in Scham
von meinem Nacken. Der Scherz war aber dermaßen schlecht, daß Anna nicht einmal
auf die Idee kam, ihn als solchen zu verstehen. »Nein, gar nicht«, sagte sie
und nahm sich eine für Fuchsjägerinnen angemessene Ladung Salat aus der
Schüssel, »die Karte war zuerst da. Und die Couch dazu habe ich schnell
gefunden.«
Ich schwieg. Und himmelte. Und
schaufelte. Und schüttete. Anna warf mir hin und wieder einen smaragdenen Blick
zu, sehr prüfend, meinen Worten sehr mißtrauend. Sie wollte von meinem Gesicht
ablesen, ob ihr Mahl gelungen war. Ich weiß nicht, zu welchem Ergebnis sie kam,
weil ich beim Essen bestrebt war, meinen Blick unten zu halten. Damit ich nicht
unentwegt sie anschaute, schaute ich auf meinen Fisch. »Glauben Sie
eigentlich«, sagte Anna unvermittelt, und ein Stück Saibling blieb,
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